Kolumne Dr. Bernhard Jünemann. |
Die KI als Börsenguru?

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde, vor allem seitdem mit ChatGPT ein kostenloses, leicht zugängliches System für jedermann zur Verfügung steht. Jeden Tag gibt es erstaunliche Berichte, was die KI alles kann. In Sekundenschnelle werden Berichte, Referate, Reden erstellt, für die ein Mensch Stunden, ja oft Tage benötigt.

Kein Wunder, dass angesichts dieser Entwicklung im Netz die Hoffnung grassiert, dass mit KI bald bessere Börsenprognosen möglich sind, die den sicheren Gewinn versprechen. Ich habe da jedoch Zweifel, ob das in naher Zukunft oder überhaupt möglich sein wird.

Zunächst ist die Börse selbst ein Informationssystem, dass Daten, Motive, Hoffnungen durch Käufe und Verkäufe in Preisdaten bündelt. Diesen Prozess dauerhaft vorherzusagen, hat bisher nicht funktioniert, auch wenn zeitweilig einzelne Prognosen aufgegangen sind. Die Untersuchungen dazu sind ernüchternd. In der Regel kommen sie dazu, dass die Trefferquoten im Durchschnitt um 50 Prozent liegen. Die Laien erreichen diese 50 Prozent, Profis jedoch liegen sogar schlechter. Das ist erstaunlich, weil diese doch mehr Informationen und mehr Computerpower nutzen können. Der Grund für die Überlegenheit der Laien ist jedoch einfach Statistik. Deren Prognosen sind besonders in solchen Untersuchungen sehr breit gefächert, so dass als Mittelwert eben diese 50 Prozent herauskommen. Im besten Fall sind Prognosen also an der Börse wie der Münzwurf: Kopf oder Zahl?

Doch KI ist bekanntlich selbstlernend und die Modelle werden ständig verfeinert. Machen wir einen Versuch mit der Frage, wie sich der DAX im Monat Mai entwickeln wird. Die Antwort von ChatGPT ist korrekt, aber ernüchternd. „Als KI-Sprachmodell habe ich nicht die Fähigkeit die Performance der Börsen vorherzusagen oder finanziellen Rat zu geben.“ ChatGPT verweist dann zu Recht darauf, dass die DAX-Entwicklung von einer komplexen Fülle von Faktoren abhängt.

Nun gibt es aber ständig Weiterentwicklungen der Künstlichen Intelligenz. In den USA hat ein System den Zusammenhang zwischen positiven und negativen Schlagzeilen und der nachfolgenden Kursreaktion von Aktien untersucht. Ergebnis: Positive Schlagzeilen lassen die Kurse am Tag danach steigen, negative fallen. Diese Erkenntnis überrascht nicht. Es gibt viele Analysten, die das Medienecho in ihre Prognosen einbeziehen – also nichts Neues. Außerdem haben wir alle die Erfahrung gemacht, dass die Reaktionen nicht immer so eindeutig sind, geschweige denn nachhaltig. Ein Vorteil ist jedoch, dass solche komplexen Auswertungen dank KI jetzt jedermann zur Verfügung stehen – sozusagen eine Demokratisierung der computergestützten Kursanalysen.

Die Börse hat immer Recht – und manchmal auch die KI

Aus England kommen Berichte, dass ein Portfolio von der KI erstellt, sich deutlich besser entwickelt als Portfolios aktiver Fondsmanager. Nun ist eine solche Momentaufnahme noch wenig aussagekräftig. Entscheidend ist, wie sich eine Methode über mehrere Börsenzyklen hinweg entwickelt. Dieser Test steht noch aus. Wir erinnern uns natürlich an Berichte von Affen, die wahllos Aktien mit dem Wurf von Dartpfeilen ausgewählt haben. Auch solche Portfolios erwiesen sich dann kurzfristig besser als die Konkurrenz. Für langfristige Strategien waren sie untauglich.

Spinnen wir die Entwicklung weiter. Gesetzt den Fall, dass die KI massiv für Kursvoraussagen genutzt wird, dann können diese zur selbsterfüllenden Prophezeiung führen. Je mehr Anlegerinnen und Anleger sich danach richten, desto höher steigt der Kurs über jede fundamentale Begründung hinaus. Desto höher ist dann auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Markt diese Übertreibung über kurz oder lang korrigiert. Gut, nun mag man einwenden, dass ja immer mehrere KI-Modelle konkurrieren werden. Aber dann stellt sich die Frage, welches nun das Beste mit der treffsichersten Prognose ist. Und schließlich muss man sich mit der Gefahr befassen, dass solche Systeme auch von sogenannten Börsengurus genutzt werden können, um Kurse in ihrem Sinne besser als bisher zu manipulieren.

Wenn die KI zurzeit noch keine Prognosen abgibt, dann kann sie auf jeden Fall schon helfen, das bisherige Wissen aufzubereiten. Ich habe weitere Fragen gestellt, zum Beispiel wie leistungsfähig die Technische Analyse ist, welches die Vor- und Nachteile von ETFs sind oder was zu einem gut diversifizierten Depot gehört. Die Antworten waren alle vernünftig und entsprachen bewährten Prinzipien der Geldanlage.

Halten wir fest: KI-Modelle sind bisher nicht zu eigenen, treffsicheren Börsenprognosen fähig. Ob sie es dereinst können, ist noch offen. Aber sie können helfen, das Wissen gut aufzubereiten und so die Grundlage für menschliche Investitionsentscheidungen zu bilden. Anlegerinnen und Anleger sollten angeblich todsicheren KI-gestützten Voraussagen mit gehöriger Skepsis begegnen. Man könnte auch mit einer bewährten Weisheit abgewandelt spotten: „Die Börse hat immer Recht – und manchmal auch die KI.“

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