Interview mit Michael Winkler |
„Auch Strategien muss man streuen“

Michael Winkler leitet die Anlagestrategie bei der St.Galler Kantonalbank Deutschland AG. Er erläutert das spezielle Schweizer Angebot für Vermögenskunden und welche Rolle dabei ETFs spielen.

Der Ruf der Schweizer Großbanken hat in den vergangenen Monaten ziemlich gelitten. Wie setzt sich denn davon die Tradition einer Kantonalbank ab?

Wie der Name schon sagt, ist unser Geschäftsmodell regional auf einen Kanton in der Schweiz ausgerichtet. Unsere Muttergesellschaft ist keine global operierende Universal- und Investment-Bank. Eine Kantonalbank ist mit einer Landesbank oder großen Sparkasse in Deutschland zu vergleichen. Traditionell versorgt eine Kantonalbank die Bevölkerung und Wirtschaft mit Krediten. Wir, die St.Galler Kantonalbank Deutschland AG (SGKB DE), verfügen über eine Vollbanklizenz, konzentrieren uns aber konsequent auf die Vermögensverwaltung – also auf das, was wir am besten können.

Sie operieren zwar nicht global, sind aber in Deutschland immerhin mit zwei Filialen in München und Frankfurt vertreten, also über ihre Kantonsgrenzen hinaus.

Wir sind die einzige deutsche Bank mit einer Schweizer Kantonalbank als Muttergesellschaft. Eine Privatbank, die auf den Werten und der Tradition unserer St.Galler Mutter gründet und mit unseren Standorten in Frankfurt und München nah am Kunden ist. Bei uns bekommen die Kunden das Beste aus beiden Welten. Der Kunde kann entscheiden, ob er den Buchungsstandort Deutschland favorisiert oder einen Teil seines Vermögens in der Schweiz verbucht haben möchte – mit dem persönlichen Berater in unmittelbarer Nähe vor Ort.

Gibt es eine besondere Anlagephilosophie, auf die Sie sich konzentrieren?

Ja, die haben wir. Wir bieten die Diversifikation über zwei grundsätzliche Investmentstile an, um das Entscheidungsrisiko zu minimieren. Der eine ist klassisch prognoseorientiert. Wir schauen auf die Konjunktur, Unternehmensergebnisse, Notenbankpolitik, Bewertung der Märkte und entwickeln daraus eine klassische Anlagestrategie, wie zum Beispiel ein Balanced-Portfolio aus Aktien und Renten. Der zweite Investmentstil ist quantitativ, prognosefrei und regelbasiert. Damit steuern wir zum Beispiel die Aktienquote mit Hilfe von Risikosignalen. Im Extremfall, wenn bestimmte Stressniveaus im Markt überschritten werden, haben wir kein Aktienexposure mehr. Das Interessante für die Kunden ist, dass sie diese zwei Stile mischen können, über alle Assetklassen hinweg und je nach Ihrer Risikopräferenz. Auch Strategien muss man streuen.

Wer sind Ihre Kundengruppen?

Traditionell liegt der Schwerpunkt auf vermögenden Privatkunden. Dazu kamen immer mehr institutionelle Kunden, Kirchen, Stiftungen und Pensionskassen. Die Kunden haben naturgemäß unterschiedliche Bedürfnisse, die wir durch unterschiedliche Strategiebausteine abdecken. Es gibt zum Beispiel eine Dividendenstrategie, eine Nachhaltigkeitsstrategie oder eine Schweizer-Franken-Strategie. So kann sich der Kunde das für ihn passende heraussuchen und hat die Möglichkeit breit zu diversifizieren.

Welche Anlageklassen bieten sie und wie weit reicht das Universum geografisch?

Grundsätzlich konzentrieren wir uns auf liquide Anlageklassen, und die sind global ausgerichtet. Dazu gehören klassisch Aktien und Renten. Es gibt dazu ein Rohstoffmodul, das goldbasiert ist. Aber auch die Anlageklasse Volatilität bieten wir. Die ist sehr gut liquide handelbar und häufig negativ zu anderen Anlageklassen korreliert. Die hat uns zum Beispiel im Jahr 2022, das äußerst negativ für Aktien und Renten war, enorm geholfen.

Mit welchen Instrumenten setzen Sie das um? Welche Rolle spielen dabei ETFs?

Das hängt immer von der einzelnen Strategie ab, ob Einzelwerte oder Fonds. Nehmen wir als Beispiel unsere Dividendenstrategie, für die wir ein aktives Screening haben und so die interessantesten Aktien heraussuchen. In dieser Strategie gibt es keine ETFs.

Nun gibt es ja spezielle ETFs mit dividendenstarken Aktien. Warum mögen Sie diese nicht?

Weil uns das Regelwerk dieser ETFs nicht gefällt. Die Anpassung erfolgt in der Regel zu selten und ist damit nicht marktgerecht. Nehmen Sie als Beispiel die Finanzkrise 2008, als die Dividenden-ETFs mit Finanzwerten vollgestopft waren. Da waren die Verluste teilweise deutlich größer als im Markt allgemein.

Und wo setzen Sie ETFs bevorzugt ein?

Das gilt zum Beispiel für unsere Momentumstrategie auf der quantitativen Seite. Dort haben wir ein Universum von 130 ETFs hinterlegt, um die interessantesten Regionen und Branchen abzubilden.

Machen Sie das nur mit Standard-ETFs oder setzen Sie auch Strategie- oder Smart-Beta-ETFs ein. Sie könnten ja auch hier eine Faktorstrategie mit speziellen Momentum-ETFs verfolgen.

Wir nutzen auch Smart Beta, zum Beispiel für Minimum Varianz oder Low Volatility. Aber bei Momentum-ETFs haben wir das gleiche Problem wie für die Dividendenstrategie. Uns gefallen die Regelwerke nicht. Sie sind viel zu unflexibel. Die Zusammensetzung eines Momentum-ETFs wird zweimal im Jahr überprüft. Anders gesagt, ein Sektor oder eine Aktie muss erst sechs Monate Outperformance liefern, um aufgenommen zu werden. Oft genug war dann die Luft schon wieder raus. Deshalb sind viele Faktor-ETFs mit Momentum in den letzten Jahren ziemlich schlecht gelaufen. Wir überprüfen unser Regelwerk mindestens jeden Monat. Und damit fühlen wir uns besser gewappnet.

Wie wählen Sie generell ETFs aus? Es gibt ja für einzelne Indizes in der Regel mehrere Anbieter, unterschiedliche Replikationsmethoden und Anforderungen an die Liquidität.

Bei der Liquidität gibt es zwei Aspekte. Da geht es einmal um die Größe an sich. Der ETF sollte nicht zu klein sein. Dann geht es aber um die Handelbarkeit, und die ist abhängig vom Underlying. Wir wollen einen fairen Preis, und zwar in jeder Börsensituation, wohl wissend, dass in Stressphasen der Spread generell größer sein sollte. Also wenn ein Anbieter mit günstigeren Kosten von einem Basispunkt wirbt, dann ist das kaum attraktiv, wenn später die Ausführung zehn Basispunkte schlechter ist, als es die Liquidität an der Börse gewährleisten müsste.

Und die Replikationsmethode? Auch die kann sich auf die Handelbarkeit auswirken?

Richtig. Im Prinzip bevorzugen wir die physische Replikation. Inzwischen wird die gesamte Palette mit wenigen Ausnahmen wie im Rohstoffbereich auch physisch replizierend angeboten.

Sie bieten Nachhaltigkeitsstrategien – auch mit ETFs?

Wir bieten solche Strategien seit 2015 an. Auf der Aktienseite sind diese wegen der besseren Handelbarkeit und größeren Liquidität überwiegend Einzelwerte basiert. Anders sieht es auf der Rentenseite aus. Wir haben ja oft genug erlebt, dass die Preisstellung bei einzelnen Anleihen in bestimmten Markphasen eine Katastrophe sein kann. Dort bevorzugen wir nachhaltig gefilterte ETFs.

Wir haben ja einige Aspekte des Risikomanagements schon angesprochen. Lassen Sie uns das noch einmal zusammenfassen. Wie gehen sie generell vor? Welche Rolle spielen Diversifikation, Quotensteuerung oder Absicherungsgeschäfte?

Diversifikation ist das Wichtigste, nicht nur über die Anlageklassen hinweg, sondern wie gesagt, auch über unterschiedliche Investmentstrategien. Dazu hilft unsere Börsenampel im quantitativen Bereich, dazu trägt die Volatilitätsstrategie bei, die oft negativ zu anderen Anlageklassen korreliert ist. Zudem haben wir begonnen, einzelne Strategien als Fondshüllen für unsere Kunden aufzulegen. Hier kommen verstärkt Absicherungsgeschäfte mit Derivaten zum Tragen. Das machen wir am besten vorausschauend und nicht erst, wenn der Markt in Schwierigkeiten gerät. Wenn Absicherungsinstrumente, zum Beispiel EuroStoxx50-Optionen oder S&P500-Optionen, besonders günstig sind, nutzen wir diese für eine Teilabsicherung.

Wie sehen Sie die Parameter der Anlagestrategien für die nächsten Monate?

Seit dem Zinsschub im vergangenen Jahr plädiere ich für eine verstärkte Nutzung von Anleihen. Inzwischen sind die Renditen wieder attraktiv, vor allem in den USA, so dass es mit Anleihen möglich ist, ordentliche Zinserträge von drei bis fünf Prozent zu generieren. Außerdem kann man sich damit gegen Rezessionstendenzen wappnen. In der Regel sollten dann die Unternehmensgewinne leiden, und es könnte am Aktienmarkt kräftig rumpeln. Normalerweise sollte in einer Rezession auch die Inflation wieder zurückgehen. Die Notenbanken dürften wieder beginnen, die Zinsen zu senken. Das sollte die Anleihekurse wieder steigen lassen und für Zusatzrenditen im Portfolio sorgen.

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