Makro Research mit Dr. Ulrich Kater | Leitzinssenkungen voraus
Das neue Jahr beginnt in Deutschland mit schlechten Nachrichten: Hochwasserschäden, Blockaden von Landwirten, Streik der Lokführer und extrem hoher Krankenstand. Zudem weisen die nachgereichten Konjunkturdaten aus dem vierten Quartal 2023 auf den zweiten Rückgang in Folge beim Bruttoinlandsprodukt hin. Die deutsche Volkswirtschaft dürfte im zweiten Halbjahr 2023 in eine technische Rezession gerutscht sein.
Und dennoch sind die Finanzmärkte solide in das Jahr 2024 gestartet. Denn zum einen erweist sich die Weltwirtschaft insgesamt nach wie vor als recht widerstandsfähig gegenüber den verschiedenen Belastungen. Zum anderen stehen die Aussichten gut, dass die straffe Geldpolitik bald wieder gelockert wird. Die Inflationsraten werden weiter in Richtung der Ziele der Notenbanken nachgeben. Diese können deshalb in diesem Jahr beginnen, ihre Leitzinsen zu senken. Für die privaten Haushalte stehen Reallohnsteigerungen ins Haus, und das Umfeld für Unternehmensinvestitionen hellt sich sukzessive auf. Das bringt zwar keinen mitreißend dynamischen Konjunkturaufschwung, schafft aber immerhin die Grundlage für Gewinn- und Umsatzsteigerungen bei den Unternehmen. Insoweit sehen wir einem freundlichen Aktienjahr mit neuen Höchstständen bei den Börsenindizes entgegen.
Kurzfristig gilt es zu berücksichtigen, dass viele Finanzmarktteilnehmende mit sehr frühen Leitzinssenkungen liebäugeln. Für die Europäische Zentralbank ist an den Finanzmärkten derzeit eine erste Leitzinssenkung schon bis Ostern eingepreist. Dies erscheint uns als zu optimistisch. Wir bleiben bei der Prognose, dass die US-Notenbank Fed im Juni und die Europäische Zentralbank im September den jeweils ersten Zinsschritt nach unten gehen wird. Eine Korrektur der Erwartungen kann in den nächsten Wochen mit Schwankungen an den Aktienmärkten und vor allem an den Rentenmärkten einhergehen. Unter dem Strich ändert sich aber an den konstruktiven Perspektiven für das Anlagejahr 2024 nichts, weder für Aktien noch für Schuldverschreibungen.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass wir eine ganze Reihe von Risiken und Unwägbarkeiten aus dem vergangenen mit ins neue Jahr nehmen, vor allem die militärischen Konflikte und die geopolitischen Spannungen. Zudem werfen Wahlen ihren Schatten voraus, insbesondere die US-Präsidentschaftswahl im November. Aller Voraussicht nach wird die entsprechende Berichterstattung in den Medien eher für betrübte Stimmung sorgen. Doch an den Finanzmärkten dürfte in der Betrachtung des Gesamtjahres die Freude über Zinssenkungen den dominierenden Einfluss haben. Oder anders formuliert: Politische Börsen haben kurze Beine – auch im Jahr 2024.
Konjunktur Industrieländer
Deutschland
Die Zeichen stehen derzeit auf eine technische Rezession in Deutschland. Nachdem bereits im dritten Quartal ein leichter Rückgang des Bruttoinlandsprodukts zu verzeichnen war, dürfte das vierte Quartal einen weiteren Rückgang gebracht haben. Darauf deuten die jüngsten Konjunkturindikatoren für November hin: rückläufige Umsätze im Einzelhandel, eine sinkende Produktion in der Industrie und im Bau sowie schwache Aufträge für die Industrie. Auch für den Dezember sind die ersten Vorzeichen enttäuschend, denn das Statistische Bundesamt meldete deutlich zurückgegangene Mauteinnahmen, die auf eine nachlassende Produktionstätigkeit hindeuten.
Prognoserevision: Aufwärtsrevision der Inflationsprognose für 2025.
Euroland
Die Konjunktur in Euroland findet nur schwer aus ihrer leichten Schwächephase heraus. Nicht zuletzt die zurückhaltende Auslandsnachfrage macht der europäischen Wirtschaft zu schaffen. Gestützt wird die Wirtschaft von einem Arbeitsmarkt bei Vollbeschäftigung und von einer deutlich gefallenen Inflationsrate, wodurch sich zumindest die Kauflaune der privaten Haushalte wieder verbessert. Im Dezember 2022 hatte die Inflationsrate noch bei 9,2 % gelegen, ein Jahr später im Dezember 2023 nur noch bei 2,9 %. Der Blick auf die vier großen EWU-Länder zeigt eine Spannbreite der Inflationsrate von 0,5 % in Italien bis 4,1 % in Frankreich. Dazwischen befinden sich Deutschland (3,8 %) und Spanien (3,3 %). Für eine Inflationsentwarnung ist es aber noch zu früh. Denn der erhebliche Rückgang der Energiepreiskomponente verdeckt deutliche Preisanstiege in anderen Teilbereichen.
USA
Nach inoffiziellen Berechnungen stieg das monatliche Bruttoinlandsprodukt im November um 0,2 % gegenüber dem Vormonat an. Zusammen mit einer Aufwärtsrevision des Vormonats hat sich hierdurch unsere Wachstumsprognose für das vierte Quartal 2023 etwas erhöht. Damit kann weiterhin von einer zyklischen Schwächephase gesprochen werden, diese ist aber deutlich weniger ausgeprägt als gemeinhin erwartet worden war. Zusammengenommen ist unsere Wachstumsprognose für 2024 erneut leicht angestiegen. Inflationsseitig gab es dagegen in diesem Monat nur marginalen Anpassungsbedarf.
Prognoserevision: Leichte Aufwärtsrevision der BIP-Prognose für 2024 und der Inflationsprognose für 2025.
Märkte Industrieländer
Europäische Zentralbank / Geldmarkt
Präsidentin Lagarde und andere EZB-Ratsmitglieder geben zwar zu verstehen, dass sie eine Senkung der Leitzinsen derzeit noch nicht in Erwägung ziehen. Es gelingt ihnen jedoch kaum, diesbezügliche Markterwartungen zurückzudrängen. Grund hierfür ist der zuletzt starke Rückgang der Inflation, der sich unseres Erachtens aber nicht mehr allzu weit fortsetzen wird. Bei einer nur noch langsamen Annäherung an das Inflationsziel von 2 % rechnen wir erst im September mit dem Beginn von Leitzinssenkungen, gefolgt von weiteren Zinsschritten im Quartalsrhythmus. Früher als wir erwartet hatten, hat die EZB den Abbau der Wertpapierbestände des PEPP angekündigt. Mit zunächst lediglich 7,5 Mrd. Euro pro Monat ab Juli bleiben die Auswirkungen auf die Überschussreserven jedoch gering, sodass sich die €STR- und EURIBOR-Sätze vorerst weiterhin am Einlagensatz orientieren. Dies sollte sich auch nicht wesentlich ändern, wenn die EZB in den kommenden Monaten bekanntgibt, welche Schlussfolgerungen sie aus der Überprüfung ihrer Vorgehensweise am Geldmarkt ziehen wird.
Prognoserevision: Zwei Leitzinssenkungen in der zweiten Jahreshälfte 2024.
Rentenmarkt Euroland
Die Aufwärtsbewegung der Renditen von Bundesanleihen seit Ende letzten Jahres beruhte größtenteils darauf, dass Marktteilnehmer ihre Erwartungen über bevorstehende Leitzinssenkungen der EZB zurückgeschraubt haben. Diese Korrektur sollte sich noch etwas weiter fortsetzen, denn in den kommenden Monaten dürfte sich die EZB mit der Annäherung an das Inflationsziel noch nicht vollständig zufrieden zeigen. Mit wieder stärker sinkenden Renditen kurzlaufender Bundesanleihen rechnen wir erst gegen Mitte des Jahres, wenn sich die Lockerung der Geldpolitik konkreter abzeichnet. Dies dürfte jedoch kaum noch auf die längeren Laufzeitbereiche ausstrahlen, denn ohne eine gravierende konjunkturelle Abschwächung sollten weder die langfristigen Inflationserwartungen noch die realen Renditen in nennenswertem Umfang zurückgehen.
Prognoserevision: Geringfügig niedrigere Renditeverläufe.
Devisenmarkt: EUR-USD
Ende Dezember hatte der Euro noch einen Aufwertungsschub bis zur Marke von 1,11 USD je EUR hingelegt, gab zu Jahresanfang aber wieder etwas nach. Angesichts der zuletzt deutlich gesunkenen Inflationsraten in beiden Währungsräumen hält sich die Markterwartung von recht starken Leitzinssenkungen in diesem Jahr (jeweils etwa 140 Basispunkte für Fed und EZB). Wir allerdings erwarten die Leitzinssenkungen ab Mitte des Jahres in einem viel geringeren Ausmaß, da wir in der Prognose eine „weiche Landung“ der Konjunktur sowie einen noch erhöhten Lohndruck unterstellen. Sofern sich die Markterwartung in den kommenden Monaten in unsere Richtung bewegt, dürfte der US-Dollar noch etwas länger Unterstützung erfahren, bevor seine Stärke mit der Leitzinswende der Fed nachlassen sollte.
Aktienmarkt Deutschland
An den Aktienmärkten rückt im Januar und Februar die Berichterstattung der Unternehmen über die erzielten Unternehmensgewinne im abgelaufenen vierten Quartal in den Blickpunkt. Die Gewinne dürften trotz schwieriger äußerer Rahmenbedingungen gegenüber dem Vorjahresquartal angestiegen sein. Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist zwar mit keinen zeitnahen Wachstumsimpulsen zu rechnen. Allerdings gibt es erste Anzeichen dafür, dass das Stimmungstief der deutschen Unternehmen durchschritten ist. Zumindest signalisieren die zuletzt veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes von sehr niedrigen Niveaus aus kommend eine gewisse Verbesserung der Geschäftsaussichten. Damit ist eine solide Basis für Gewinnzuwächse der Unternehmen im laufenden Jahr gelegt, was eine hohe Dividendenkontinuität ermöglicht und in Kombination mit einer perspektivisch wieder lockerer werdenden Geldpolitik auch für moderate Zuwächse in den Kursnotierungen spricht.
Prognoserevision: Leichte Aufwärtsrevision der Kursziele.
Unternehmensanleihemarkt Euroland
Nach der kräftigen Jahresendrallye begann der Handel im Kreditbereich im Januar zunächst mit einer Korrekturphase. Da gleichzeitig eine hohe Neuemissionswelle über die Märkte schwappte, haben sich die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen stärker ausgeweitet als entsprechende Kreditderivate. Dank großzügiger Neuemissionsprämien wurden die neuen Anleihen aber stark gezeichnet und konnten erfolgreich platziert werden. Alte ausstehende Anleihen im Sekundärmarkt weiteten sich in der Folge im Spread. Auf erhöhtem Renditeniveau erwachte jedoch bald die Investitionsbereitschaft der Anleger und Anlegerinnen und die Neuemissionsprämien konnten wieder etwas verringert werden. Mit dem Beginn der Quartalsberichtssaison erhalten die Märkte neue Impulse. Vor allem in den USA könnten die Geschäftsergebnisse deutlich besser als erwartet ausfallen.
Emerging Markets
Märkte
Die hohen Schwankungen bei US-Staatsanleihen hatten zwischen Mitte Oktober und Ende Dezember zu einer Jahresendrallye bei EM-Hartwährungsanleihen mit einer Performance von über 11 % geführt, doch seit Jahresbeginn hatten sie einen Verlust von rund 2 % zur Folge. Bei EM-Lokalwährungsanleihen blieben die Ausschläge geringer, aber auch hier waren in den vergangenen drei Monaten insgesamt deutliche Gewinne zu verzeichnen. Weiterhin enttäuschend verläuft die Entwicklung bei EM-Aktien, die vor allem unter der Schwäche chinesischer Titel leiden. Der Krieg im Nahen Osten ist für die Kapitalmärkte in den vergangenen Monaten kein Belastungsfaktor gewesen. Mit Blick auf die kommenden Monate dürfte das Umfeld für Schwellenländeranleihen positiv bleiben. Zwar sind die Zinssenkungserwartungen für die US-Notenbank aus unserer Sicht zu weit gelaufen, doch die erste Senkung dürfte um die Jahresmitte erfolgen und die Aussicht darauf erneute Renditeanstiege begrenzen. Der Zinssenkungszyklus in den Schwellenländern wird EM-Lokalwährungsanleihen noch für längere Zeit unterstützen.
Szenarien
Basisszenario (Wahrscheinlichkeit: 70 %)
Anpassungen nach der Ausnahmesituation durch die Corona-Pandemie und der langen Jahre der Nullzinspolitik verlaufen überraschend geschmeidig. Weltwirtschaft durchläuft eine Schwächephase und wächst im Verlauf von 2024 wieder kräftiger.
Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung halten perspektivisch den Inflationsdruck erhöht und dämpfen das globale Wachstum.
Notenbanken haben ihren Leitzinsanhebungszyklus abgeschlossen und lassen Leitzinsen unverändert, bis sichergestellt ist, dass die mittelfristigen Inflationserwartungen im Zielbereich von 2 % verankert bleiben. Erste Leitzinssenkungen sind ab Mitte 2024 zu erwarten. Leitzinsen verharren aber noch für längere Zeit oberhalb der neutralen Niveaus.
Die Geldpolitik wird bis auf Weiteres die Entwicklung von Wirtschaft und Kapitalmärkten nicht mehr so stützen können wie bisher. Die Fiskalpolitik bleibt angesichts struktureller Herausforderungen (wie Klimawandel, Sozialversicherungssysteme, Demografie usw.) trotz erhöhter Zinsen global eher expansiv. Allgemein ist ein Trend zu höherer Staatsverschuldung zu beobachten.
Für Europa und insbesondere für Deutschland ist im Jahr 2024 noch ein schwaches Wachstum zu erwarten. Die US-Wirtschaft zeigt sich robuster.
In China begrenzen die zunehmende staatliche Regulierung und die Korrektur im Immobiliensektor das Wachstum.
Aktienmärkte bewegen sich moderat aufwärts mit hohen Schwankungen. Sie profitieren vom globalen Wachstum und vom Umbau der Wirtschaft mit Blick auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Zinsen dürften tendenziell Inflationsraten nur knapp übertreffen. Kaufkrafterhalt der Geldanlagen funktioniert am besten über breit gestreute Wertpapieranlagen, allerdings unter Inkaufnahme von Wertschwankungen.
Negativszenario (Wahrscheinlichkeit: 20 %)
Zweitrundeneffekte bei der Inflation setzen Lohn-Preis-Spirale in Gang und führen für lange Zeit zu deutlich höheren Inflationsraten. Notenbanken sehen sich dadurch zu einer extrem restriktiven Geldpolitik gezwungen, die eine massive Rezession auslöst.
Belastungen durch spürbar gestiegene Zinsen lösen eine globale Bankenkrise aus.
Dramatische Eskalation des Russland-Ukraine-Kriegs oder des militärischen Konflikts im Nahen Osten mit Ausweitung auf weitere Länder. Infrastruktur-Sabotage als Mittel der unkonventionellen Kriegsführung. Anhaltende Ost-West-Konfrontation bzw. die Verschiebung globaler politischer Gewichte zugunsten autoritärer Regime verringert positive Wachstumswirkungen der Globalisierung.
Stark gestiegene Staatsverschuldung löst regionale bzw. globale Schuldenkrisen aus mit dem Risiko einer umfassenden Finanzkrise bzw. in Euroland mit einem erneuten Infragestellen der Währungsunion.
Positivszenario (Wahrscheinlichkeit: 10 %)
Inflationsraten gehen innerhalb kürzester Zeit zurück und bleiben dann im Bereich der Notenbankziele. Notenbanken können Zinsen schnell auf neutrale Niveaus zurücknehmen.
Einfrieren der geopolitischen Konflikte führt zu zügiger Beruhigung von Wirtschaft und Finanzmärkten.
Kräftige Gewinnanstiege der Unternehmen lassen Aktienkurse deutlich steigen und wirken als Triebfeder für die Investitionsdynamik.
Überraschend starke Wachstumsdynamik in den Emerging Markets mit Schubwirkung für globale Wirtschaft.