Interview mit Nadine Heemann | „Optimale Lösung immer individuell“
Ich muss gestehen Frau Heemann, dass mir der Name NAHE.INVEST rätselhaft erschien. Spontan dachte ich an das Nahe-Gebiet in Rheinland-Pfalz, aber Sie residieren südlich von Berlin. Wofür also steht NAHE.INVEST?
Das „NAHE“ ist eine Abkürzung meines Namens – Nadine Heemann. Aber im „NAHE“ steckt mehr. Wenn man Portfolios managt, muss man nahe am Markt sein und gleichzeitig auch nahe an Kundinnen und Kunden. Sie geben den Rahmen vor, in dem ich dann final Vorschläge für die Portfolios treffe. Alles das passt gut mit meinem Namen zusammen.
Gibt es so etwas wie eine übergeordnete Anlagephilosophie?
Die ist sehr davon abhängig, wie Kundinnen und Kunden ticken. Wenn für mich privat ein Rentenportfolio zu langweilig ist, kann es dennoch für jemanden im Ruhestand mit regelmäßigen Entnahmen genau richtig sein. Ich bin bankenunabhängig, ich habe keine Vertriebsvorgaben. Kundinnen und Kunden bezahlen mich direkt. Deshalb ist das Erstgespräch, die Anamnese, wie beim Arzt so wichtig, um zur richtigen Diagnose zu kommen. Meine übergeordnete Philosophie ist, dass es für jeden passend sein muss. Wie ist das individuelle Risikoempfinden? Wie ist die Risikotragfähigkeit? Welches Problem habe ich, wenn mein Portfolio um x Prozent fällt? Das sind die Fragen, die vorab geklärt werden müssen. Die optimale Lösung ist immer individuell.
Umsetzen müssen Sie das alles mit unterschiedlichen Instrumenten. Was also ist in Ihrem Baukasten, und was setzen Sie bevorzugt ein?
Grundsätzlich nutze ich alles, was börsentäglich liquide ist. Das ist wichtig, wenn Investorinnen und Investoren ihr Portfolio aus welchen Gründen auch immer schnell auflösen möchten. Ich arbeite bevorzugt mit aktiven Fonds und ETFs, zu denen ich Einzeltitel mische. Für größere Depots kommen auch Einzelanleihen in Frage, weil die oft sehr große Stückelungen aufweisen. Die Depotgröße ist mithin ein wichtiger Faktor. Aber es gibt bei mir auch Mandanten mit Sparplänen, die investieren in Fonds. Dort setze ich keine Einzelaktien ein.
Dann lassen Sie uns die Fonds genauer unter die Lupe nehmen. Wann nutzen Sie aktive Fonds, wann passive ETFs?
Für mich ist passiv alles, was mit Hilfe eines Algorithmus gestaltet wird, also mit einem regelgebundenen Verfahren zur Zusammensetzung. Aktiv bedeutet, dass Einzelpersonen oder ein Team entscheiden, was in den Fonds hineingekauft oder verkauft wird, je nach individueller Analyse von Märkten und Aktien. ETFs nutze ich häufig für kurzfristige Meinungen auf einen bestimmten Sektor oder ein bestimmtes Land. Auch für Bereiche, in denen es keine attraktiven aktiven Fonds gibt, kommen sie infrage.
Wie entscheiden Sie konkret? Aktive Fonds sind ja meist deutlich teurer.
Ich schaue danach, wer die beste risikoadjustierte Rendite nach Kosten hat. Billig ist nicht immer gut. Zum Beispiel gibt es im Bereich Emerging Markets sehr viele gute Fondsmanagerinnen und -manager, die gutes Detailwissen haben und besser als jeder ETF sind. Bei Standardmärkten wie DAX oder Dow sind meist die ETFs besser. Aber schon wenn Small Caps ins Spiel kommen sieht es anders aus. Dann sind die höheren Kosten für mich kein Problem, wenn die Rendite nach Kosten stimmt. Bei der Auswahl von ETFs habe ich einen Grundsatz: Ich bevorzuge klar physisch unterlegte ETFs. Ich habe nach meinem Studium 2006 bei Lehman Brothers angefangen. Ich weiß also, wie schnell ein Swap-Partner ausfallen kann. Bei physischen ETFs wähle ich, wenn es die Alternative gibt, gerne das Produkt ohne Wertpapierleihe. Die Aktien sollen auch wirklich im Fonds sein.
Die ETFs werden immer differenzierter. Bleiben Sie bei Plain Vanilla? Oder nehmen Sie auch Strategie- und Faktor-ETFs ins Visier mit Merkmalen wie Size, Value, Growth oder Momentum?
Momentum, Value oder Growth – das passt nicht zu meiner Strategie. Ich beobachte solche Fonds, aber nutze sie derzeit nicht
Sie können aber auch auf explizite Themen mit ETFs setzen.
Ja, da gibt es Themen, für die ich gerne ETFs nutze, zum Beispiel Künstliche Intelligenz oder Cybersecurity. Darin sind meist Aktien enthalten, die sich ohnehin jeder fundamentalen Beurteilung entziehen. Da ETFs auch während des Tages aktiv handeln, kann man hier jederzeit ein- oder aussteigen.
Wie steht es um die Nachhaltigkeit? Da gibt es ETFs mit ESG-Filterung sowie Impact Fonds mit Aktien, die einen unmittelbaren Einfluss auf Themen wie Klimawandel versprechen.
Die meisten Personen in meiner Kundschaft haben keine klare Präferenz. Auch ich sehe das Thema gelassen. Ich habe sogar einige Portfolios mit Rheinmetall, weil diese Firma Produkte herstellt, die Europa zu verteidigen helfen. Aber Kundinnen und Kunden entscheiden, was sie im Depot haben möchten, und daran halte ich mich. Ich habe sogar einen Kunden, der will explizit die Quote von Waffenherstellern erhöhen. Doch wenn jemand Waffen oder Öltitel ausschließt, kann er sich darauf verlassen, dass die nicht ins Portfolio kommen. Was Impact Investment betrifft, gibt es spannende Themen wie den Klimaschutz. Aber die vielen Solartitel laufen zurzeit nicht mehr. Das könnte sich natürlich mit entsprechenden politischen Entscheidungen auch wieder ändern. Dann wird das Thema Impact Investment auch wieder eine größere Rolle im Portfolio spielen.
Wie managen Sie das Risiko? Schwankungen aussitzen, Assets mit Stopps verkaufen oder Absicherungsgeschäfte mit Futures?
Kundinnen und Kunden geben den Rahmen vor, sie legen die Schwankungsbreite fest. Sie bestimmen auch die Anleihequote. Anleihen schwanken bekanntlich weniger heftig. In kleineren Portfolios mit Sparplänen und Fonds wird meist ausgesessen. In diesen Fällen kaufen sie bei Rückschlägen ja sogar günstiger ein. In größeren Portfolios wird je nach Risikotoleranz aktiv gehandelt. Ich nutze dann flexible Stoppkurse. Ich rufe auch mal an und rate zu kaufen, wenn ein Markt 30 Prozent abgestürzt ist. Liegt eine Termingeschäftsfähigkeit vor, greife ich nach Absprache zu Sicherungsgeschäften, mit Zertifikaten oder Reverse-ETFs. Auch das Risikomanagement ist also höchst individuell.
2022 war ein schwieriges Anlagejahr. Aktien- und Anleihekurse fielen. 2023 bis heute lief es wieder gut. Wie haben Sie das gemeistert? Und wie beurteilen Sie die aktuelle Situation? Mehr Vorsicht?
In der Tat war 2022 auch für uns nicht so gut, aber die Verluste hielten sich in Grenzen und wurden in den guten Jahren danach mehr als ausgebügelt. Aktuell hängt vieles an den USA. Generell möchte ich sagen, dass die USA eine spannende Volkswirtschaft sind, in der viel mehr möglich ist als im überregulierten Europa. In Amerika muss man weiterhin investiert sein, insbesondere jetzt, da mit Donald Trump ein Präsident gewählt wurde, dessen Fokus auf der Förderung der landeseigenen Wirtschaft liegt. Das hat Trump schon vor der Wahl angekündigt. Sein Slogan ist nicht umsonst „America First“. Ich lege deshalb nach der Wahl einen Schwerpunkt auf US-Werte. Trump hat ebenfalls mehrfach angekündigt, Steuern senken zu wollen. Dies sollte Werten aus dem Bereich nicht-zyklischer Konsum entgegenkommen. Letztere Idee kann man zum Beispiel über einen entsprechenden ETF abdecken.