Makro Research mit Dr. Ulrich Kater. | Was (über)sehen die Aktienmärkte?
An den Börsen herrscht überraschend gute Stimmung. Bereits im vierten Quartal 2022 holten die Aktienindizes von ihren zwischenzeitlichen erheblichen Einbußen wieder einiges auf. Und der Start ins Jahr 2023 darf zweifelsfrei als gelungen bezeichnet werden. Die Weltwirtschaft offenbart eine erstaunlich hohe Resilienz gegenüber den enormen Inflationsraten sowie dem straffen Zinserhöhungszyklus der Notenbanken. So wurden in den letzten Wochen sogar schon wieder Konjunkturprognosen nach oben revidiert. Sollten einzelne Volkswirtschaften überhaupt offiziell in eine Rezession fallen, dann dürfte diese recht mild verlaufen. Überdies sind zwei Sorgen für das laufende Jahr entfallen: Zum einen hat die milde Witterung in diesem Winter das Risiko einer Gasmangellage in Europa genommen. Zum anderen hat in China die Abkehr von der Null-Covid-Strategie die Perspektiven für die Lieferketten spürbar aufgehellt.
So weit, so gut. Die Aktienmärkte haben eine ordentliche Berichtssaison hinter sich gebracht, die zumindest nicht hinderlich war. Doch erscheinen uns die makroökonomischen Perspektiven nur moderat zu sein und für die nächsten Quartale kaum nennenswerte Gewinnsteigerungen bei den Unternehmen zuzulassen. Es ist davon auszugehen, dass sich die bremsenden Wirkungen der Geldpolitik noch weiter zeigen werden. Auch wenn nicht mehr viele Zinsschritte nach oben anstehen, sind doch Hoffnungen auf rasche Zinssenkungen sehr gewagt. Die Notenbanken vermitteln derzeit bewusst den Eindruck, dass sie die Leitzinsen noch für längere Zeit auf einem höheren Niveau – und zwar im bremsenden Bereich – halten wollen. Der Kampf gegen die hohen Inflationsraten soll um jeden Preis gewonnen werden, damit die Inflationserwartungen bei den Zielen der Notenbanken verankert bleiben. Zweifel an der geldpolitischen Stabilitätskultur sollen im Keim erstickt werden.
Anders als die Aktienmärkte haben die Rentenmärkte auf dieses Szenario spürbar reagiert, sodass jüngst wieder höhere Renditen für festverzinsliche Wertpapiere zu verzeichnen waren. Vor allem im kürzeren Laufzeitbereich legten die Renditen zu und unterstrichen die Inversion der Zinsstrukturkurve. Dies passt zu aktuellen Äußerungen von Fed-Chef Powell, dass die Notenbank zur Not eine echte Rezession der US-Volkswirtschaft in Kauf nehmen würde. Es dürfte freilich gelingen, bei einer moderaten konjunkturellen Erholung im Jahresverlauf nachlassende Inflationsraten zu erzielen. Vor diesem Hintergrund sind erste Leitzinssenkungen im kommenden Jahr absehbar. In der Konsequenz spricht dies für attraktive Rentenmärkte bei leichten Renditerückgängen und nachgebenden Zinsaufschlägen für Anleihen mit geringerer Bonität. Die Aktienmärkte haben bereits Vorschusslorbeeren verteilt. Hier steht aller Voraussicht nach jedoch eine gute Dividendensaison an. In jedem Fall werden die Märkte in diesen geld- und geopolitisch spannenden Zeiten ungewöhnlich schwankungsanfällig bleiben.
Konjunktur Industrieländer
Deutschland
Die Dezemberindikatoren waren so schwach, dass sich das Statistische Bundesamt genötigt sah, die ursprünglich als Stagnation angekündigte Wachstumszahl für das vierte Quartal 2022 zum zweiten Mal in kürzester Zeit auf 0,4 % im Vorquartalsvergleich nach unten zu korrigieren. Der Start in das neue Jahr brachte bislang keine grundlegende Wende. Zwar legten die ifo Geschäftserwartungen zu, doch das ist bis jetzt nur ein Auspreisen einer sehr schweren Rezession. Wir erwarten auch im ersten Quartal 2023 eine Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts, doch die Rezession wird trotz der vielfältigen Widrigkeiten mild bleiben, nicht zuletzt wegen der zahlreichen staatlichen Stützungsmaßnahmen.
Prognoserevision: Leichte Abwärtsrevision der BIP- und Inflationsprognose für 2023.
Euroland
Die Schwäche der europäischen Wirtschaft aus dem zweiten Halbjahr 2022 dürfte auch im ersten Quartal 2023 angehalten haben. Die Stimmungsindikatoren der Unternehmen deuten immerhin eine leichte Belebung an, mehr aber auch nicht. Die hohe Inflationsentwicklung bleibt ein gewichtiger Belastungsfaktor, und dementsprechend ist das Konsumentenvertrauen nach wie vor sehr schlecht in Euroland. Die Inflationsrate ist im Februar nur geringfügig auf 8,5 % zurückgegangen. In den vier großen EWU-Ländern lagen die Inflationsraten im Bereich von 6,1 % in Spanien bis 9,9 % in Italien. Dazwischen befanden sich die Inflationsraten aus Deutschland (9,3 %) und Frankreich (7,2 %).
Prognoserevision: Abwärtsrevision der BIP-Prognose für 2024, Aufwärtsrevision der Inflationsprognose für 2023.
USA.
Nach den vorliegenden Informationen war der Monat Januar in mehrerlei Hinsicht ein Ausnahmemonat. Dies betraf vor allem den Arbeitsmarkt, aber auch die verfügbaren Einkommen, den privaten Konsum und möglicherweise die Preisentwicklung. Neben den ungewöhnlich günstigen Witterungsverhältnissen sowie Nachhol- und Vorzieheffekten beim privaten Konsum sorgten staatliche Einmalzahlungen für einen deutlichen Schub sowohl bei der Nachfrage als auch bei den Preisen. Aufgrund dieser besonderen Datenlage und der daraus resultierenden Unsicherheit kann weiterhin nicht ausgeschlossen werden, dass die US-Wirtschaft zeitnah in eine – wenn auch milde – Rezession rutschen wird.
Prognoserevision: Anhebung der BIP-Prognose für 2023; Anhebung der Inflationsprognose für 2023 und 2024.
Märkte Industrieländer
Europäische Zentralbank / Geldmarkt
Für ihre Ratssitzung am 16. März hat die EZB eine erneute Anhebung der Leitzinsen um 50 Basispunkte angekündigt und ihr anschließendes Vorgehen als datenabhängig bezeichnet. Unseres Erachtens kommt dabei zwei Entwicklungen eine besondere Bedeutung zu: Erstens hat die Kerninflation im Februar weiter zugenommen. Zweitens deuten einige Stimmungsindikatoren trotz strengerer Finanzierungsbedingungen auf eine wieder anziehende konjunkturelle Dynamik hin. Wir gehen deshalb davon aus, dass die EZB die Straffung der Geldpolitik noch etwas weiter fortsetzen wird, mit Zinsschritten von nochmals 50 Basispunkten im Mai und 25 Basispunkten im Juni. Die umfangreichen Rückzahlungen der langfristigen Refinanzierungsgeschäfte TLTRO-III dürften sich vorerst nur wenig auf die Geldmarktsätze auswirken. Eine Mehrheit der EZB-Ratsmitglieder präferiert einen langsamen Abbau der Wertpapierbestände des APP. Die Überschussreserven dürften daher noch für einige Zeit hoch genug bleiben, um die €STR- und EURIBOR-Sätze an den Einlagensatz zu koppeln.
Prognoserevision: Stärkere Leitzinserhöhungen.
Rentenmarkt Euroland.
Anzeichen für einen sich verfestigenden Preisauftrieb und entsprechende Kommentare von EZB-Ratsmitgliedern hatten nicht nur zur Folge, dass Marktteilnehmer zusätzliche Leitzinserhöhungen erwarten. Sie gehen auch von erst später beginnenden Leitzinssenkungen aus, sodass die Straffung der Geldpolitik stärker als bisher auch auf die längeren Laufzeitbereiche ausstrahlt. Dennoch könnte die Inversion der Bundkurve zwischenzeitlich noch etwas weiter zunehmen. Denn wenn die EZB ihre Ankündigung, für längere Zeit an einem restriktiven Leitzinsniveau festzuhalten, glaubhaft machen kann, ist der Spielraum für Renditerückgänge am kurzen Ende zunächst gering. Demgegenüber sollten die Renditen langlaufender Bundesanleihen ihren Zenit überschreiten, sobald sich der Eindruck einer allmählich nachlassenden Inflation erhärtet.
Prognoserevision: In allen Laufzeitbereichen höhere Renditeniveaus.
Devisenmarkt: EUR-USD.
Bis auf 1,05 USD je EUR ist der Wechselkurs Ende Februar gefallen, nachdem er erst Anfang Februar die Marke von 1,10 USD je EUR erreicht hatte. Ursächlich für diese kräftige USD-Aufwertung waren starke US-Daten (Arbeitsmarkt, privater Konsum), die die Markterwartungen an die Fed verändert haben: Anstatt von Leitzinssenkungen in diesem Jahr wurden nun höhere Zinsen für längere Zeit eingepreist. Mittlerweile gelang dem Euro eine leichte Aufwertung auf 1,06 USD je EUR. Zu verdanken ist dies der EZB, die angesichts einer noch steigenden Kernrate der Inflation in Euroland (von 5,3 % auf 5,6 % im Februar) weitere Leitzinserhöhungen in Aussicht stellt. Auf Sicht von 12 Monaten erwarten wir, dass der Renditevorsprung der USA bei den 2-jährigen Staatsanleihen spürbar fallen wird. Die Aussichten für den Euro bleiben somit gut.
Aktienmarkt Deutschland.
Die Seitwärtsbewegung der Aktienkurse im Februar dürfte im März noch weiter anhalten. Der Grund dafür sind hartnäckig hohe Kerninflationsraten, die nicht nur zu einem massiven Anstieg der Zinsen an den Kapitalmärkten, sondern auch zu einer deutlich höheren Erwartung an die Leitzinsen der EZB geführt haben. Die geldpolitische Verunsicherung bleibt damit bis auf weiteres hoch, was den Ausblick für die Aktienmärkte belastet. Stabilisierend wirkt dagegen, dass sich die Volkswirtschaften auf ihrem niedrigen Wachstumstempo einzupendeln scheinen. Das signalisieren zumindest die zuletzt veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes. Zudem lösen die Ausblicke der Unternehmen im Rahmen der Berichterstattung zum abgelaufenen Quartal keine massiven neuen Abwärtsrevisionen der Gewinnerwartungen aus. Dementsprechend ist der mittelfristige Ausblick stabil, und die kurzfristig zu erwartende Stimmungskorrektur dürfte moderat ausfallen.
Prognoserevision: Leichte Aufwärtsrevision der 3- und 6-Monatsprognose.
Unternehmensanleihemarkt Euroland.
Die Renditen von Unternehmensanleihen sind mit den kräftig erhöhten Leitzinserwartungen ebenfalls erneut stark angestiegen. Anders als im vergangenen Herbst, als Rezessionssorgen die Risikoaufschläge deutlich haben anspringen lassen, halten sich die Spreads aber auf bemerkenswert niedrigem Niveau. Obwohl die Geschäftsberichte zum vierten Quartal bei vielen Firmen ein verlangsamtes Umsatz- und Gewinnwachstum aufzeigen, ist die Investitionsbereitschaft internationaler Investoren in Unternehmensanleihen weiterhin sehr hoch. Auch die verringerten Wertpapierersatzkäufe der EZB haben sich bisher kaum negativ auf Corporates ausgewirkt. Doch die Ausblicke der Unternehmen auf die kommenden Quartale werden nach unten angepasst werden müssen und die Spreads dürften vorübergehend ein Stück herauslaufen.
Emerging Markets
Märkte.
EM-Hartwährungsanleihen sind im Zuge steigender US- Renditen unter Druck geraten und haben einen Großteil ihrer Januar-Gewinne wieder abgegeben. EM-Lokalwährungsanleihen entwickelten sich in dem schwierigen Umfeld stabil, da sie von der guten Entwicklung vieler Schwellenländerwährungen profitierten. EM-Aktien gaben einen Teil ihrer Gewinne wieder ab, weil die zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA gute chinesische Konjunkturdaten in den Hintergrund treten ließen. Die vergangenen Wochen haben deutlich gemacht, wie groß die Unsicherheit um den Inflationsausblick weiterhin ist. Vor diesem Hintergrund müssen weitere Rückschläge bei Anleihen und in der Folge auch bei Aktien einkalkuliert werden. Doch auf Sicht von zwölf Monaten erscheint das Chance-/Risiko-Profil von EM-Anleihen attraktiv, weil die hohen Renditen einen Puffer gegen Kursverluste bieten. Die Entwicklung von EM-Aktien ist aufgrund der regionalen Gewichtung der bedeutenden Indizes stärker anfällig für eine weitere Verschärfung der Spannungen zwischen China und den USA, weshalb hier zunächst eher Vorsicht angeraten erscheint.
Szenarien
Basisszenario (Wahrscheinlichkeit: 70 %)
Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung halten perspektivisch den Inflationsdruck hoch und dämpfen das globale Wachstum.
Regimewechsel am Kapitalmarkt durch dauerhaft höhere Zinsen.
Notenbanken erhöhen Leitzinsen, bis Rückgang der Inflationsraten hinreichend weit vorangeschritten und mithin gesichert ist. Erste Leitzinssenkungen sind frühestens 2024 zu erwarten.
Weltwirtschaft findet nach der Schwächephase im Winterhalbjahr 2022 / 23 zurück auf den Wachstumspfad.
Wegen weiterhin zu hoher Inflation und wegen deutlich gestiegener Zinsen werden Geld- und Finanzpolitik bis auf Weiteres die Entwicklung von Wirtschaft und Kapitalmärkten nicht mehr so stützen können wie bisher.
Für Europa und die USA sind bis ins Jahr 2024 hinein schwaches Wachstum und zu hohe Inflationsraten zu erwarten.
In China begrenzen anhaltende Probleme mit Corona-Infektionswellen, verstärkte staatliche Regulierung und Korrektur im Immobiliensektor das Wachstum.
Aktienmärkte bewegen sich zunächst seitwärts mit hohen Schwankungen. Mittelfristig profitieren sie von globalem Wachstum und dem Umbau der Wirtschaft mit Blick auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Zinsen dürften tendenziell niedriger als Inflationsraten bleiben. Kaufkrafterhalt der Geldanlagen funktioniert am besten über breit gestreute Wertpapieranlagen, allerdings unter Inkaufnahme von Wertschwankungen.
Negativszenario (Wahrscheinlichkeit: 25 %)
Dramatische Eskalation des Russland-Ukraine-Kriegs mit Ausweitung auf weitere Länder. Infrastruktur-Sabotage als Mittel der unkonventionellen Kriegsführung. Anhaltende Ost-West-Konfrontation verringert positive Wachstumswirkungen der Globalisierung.
Zweitrundeneffekte bei der Inflation setzen Lohn-Preis-Spirale in Gang und führen zu anhaltend höheren Inflationsraten. Notenbanken sehen sich dadurch zu einer extrem restriktiven Geldpolitik gezwungen, die eine massive Rezession auslöst.
Stark gestiegene Staatsverschuldung löst in Verbindung mit den spürbar gestiegenen Zinsen regionale bzw. globale Schuldenkrisen aus mit dem Risiko einer umfassenden Finanzkrise bzw. in Euroland einem erneuten Infragestellen der Währungsunion.
Dauerhafte ausgeprägte Wachstumsschwäche in China.
Positivszenario (Wahrscheinlichkeit: 5 %)
Inflationsraten gehen innerhalb kürzester Zeit zurück und bleiben dann im Bereich der Notenbankziele. Notenbanken können Zinsen zügig auf neutrale Niveaus zurücknehmen.
Einfrieren des Russland-Ukraine-Konflikts führt zu zügiger Beruhigung von Wirtschaft und Finanzmärkten.
Kräftige Gewinnanstiege der Unternehmen führen zu deutlichen Aktienkursanstiegen und wirken als Triebfeder für die Investitionsdynamik.
Überraschend starke Wachstumsdynamik in den Emerging Markets mit Schubwirkung für globale Wirtschaft.