Makro Research mit Dr. Ulrich Kater. | Wenn es nur so einfach wäre
Die Weltwirtschaft dürfte in diesem und im kommenden Jahr unserer aktuellen Einschätzung zufolge unverändert um knapp 3 % wachsen. Zum großen Bild gehört, dass die Inflationsraten weiter zurückgehen werden, und zwar vor allem als Ergebnis der beherzten geldpolitischen Straffung, die rund um den Globus stattgefunden hat. Perspektivisch können die Notenbanken ihre restriktive Geldpolitik dann im kommenden Jahr wieder leicht lockern. Mit sinkenden Leitzinsen ergeben sich konstruktive Kapitalmarktperspektiven für Aktien- und Rentenmärkte.
Wenn tatsächlich alles so eindeutig wäre, könnten sich zügig neue belastbare Trends an den Märkten ausbilden. Doch gibt es in den drei großen Wirtschaftsregionen USA, Europa und China derzeit unterschiedliche Entwicklungen bzw. Probleme, die die jeweilige Notenbank nach wie vor sehr herausfordern. Die Geldpolitiker reagieren darauf, indem sie datenabhängig agieren und dies auch immer wieder betonen. Die Unsicherheit hinsichtlich des zeitnahen Erfolges bei der Inflationsbekämpfung, des angemessenen Pfades für die Normalisierung der Geldpolitik und nicht zuletzt der Wirkungsverzögerungen der bisherigen Leitzinserhöhungen ist anhaltend hoch. Für die USA haben wir die Konjunkturprognosen zuletzt nach oben revidiert: Die Stärke der gesamtwirtschaftlichen Aktivität über den Sommer überraschte, und daher könnte die erwartete sanfte konjunkturelle Landung sogar sehr sanft ausfallen. Demgegenüber herrscht in Europa konjunkturelle Tristesse. Vor allem in Deutschland vermengen sich zyklische Belastungen aus Inflation und Zinsen mit strukturellen Problemen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Standorts. Asien ist zweifelsohne die treibende Kraft in der Weltwirtschaft. Doch läuft es dort beim Schwergewicht China auch nicht richtig rund, insbesondere wegen des kränkelnden Immobilienmarktes.
Wie immer ist der künftige Verlauf nicht so eindeutig, wie man dies gerne hätte. Und doch sind die Kapitalmärkte trotz manch volatiler Tage insgesamt weiter stabil. Gerade bei den Risikomärkten könnte man sich deutlich mehr Unwohlsein vorstellen. Die Zinsaufschläge bei den Unternehmensanleihen oder Emerging Markets-Anleihen sind recht gering und signalisieren damit eine erstaunlich große Gelassenheit. Auch die Aktienmärkte halten sich wacker, denn einem Großteil der Unternehmen gelingt es, bei Gewinnen und Umsätzen mit den globalen Widrigkeiten umzugehen.
Die Finanzmarktteilnehmer gehen davon aus, dass am Ende eine normalisierte Geldpolitik mit weitgehend zielkonformen Inflationsraten und neutralen (niedrigeren) Leitzinsen stehen wird. Damit sind die Perspektiven für die Aktien- und Rentenmärkte insgesamt gut. Für den weiteren Jahresverlauf wird jedoch mit der anhaltenden Unsicherheit zu leben sein, wann und auf welchem Leitzinsniveau der Zinsgipfel erreicht sein wird. Wenn das heute schon gänzlich geklärt wäre, das wäre dann doch zu einfach gewesen.
Konjunktur Industrieländer
Deutschland
Die Unternehmensumfragen malen ein immer düsteres Konjunkturbild. Die Industrieindikatoren liegen schon auf äußerst niedrigen Werten, und jetzt geben auch noch die Dienstleistungsindikatoren nach. Es zeigt sich ferner, dass Deutschland im Industriebereich immer stärker vom Rest der Eurozone abgehängt wird. Während die konjunkturellen Belastungen durch die Inflation nachlassen, spüren wir derzeit die Auswirkungen der Konjunkturschwäche in China und die Folgen der weltweit restriktiven Geldpolitik. Neben diesen konjunkturellen Belastungen gibt es aber auch eine Reihe längerfristig wirkender struktureller Defizite. Diese sorgen dafür, dass das deutsche Potenzialwachstum nur noch bei 0,8 % pro Jahr bzw. 0,2 % pro Quartal liegt.
Prognoserevision: Abwärtsrevision der Bruttoinlandsprodukts- und Aufwärtsrevision der Inflationsprognose.
Euroland
Die unerwartete Beschleunigung der europäischen Konjunkturdynamik im zweiten Quartal 2023 dürfte nicht die Wende hin zu einer Verbesserung der Wirtschaftslage in der zweiten Jahreshälfte sein. Vielmehr deuten die Frühindikatoren auf ein schwächeres Wirtschaftswachstum im dritten Quartal 2023 hin. Eine wichtige Stütze für die wirtschaftliche Entwicklung ist der Arbeitsmarkt geblieben. Im Juli verharrte die Arbeitslosenquote in Euroland auf ihrem Allzeittief von 6,4 %. Dabei lag die Spannbreite der Arbeitslosenquoten (nach EU-Definition) unter den vier großen EWU-Ländern zwischen 2,9 % in Deutschland und 11,6 % in Spanien. Dazwischen reihen sich Frankreich (7,4 %) und Italien (7,6 %) ein.
Prognoserevision: Abwärtsrevision der BIP-Prognose für 2024; Aufwärtsrevision der Inflationsprognose für 2023 und 2024.
USA
Das Bruttoinlandsprodukt ist nach inoffiziellen Berechnungen im Juli um 0,5 % gegenüber dem Vormonat zum dritten Mal in Folge überaus kräftig angestiegen. Die Resilienz der US-Wirtschaft gegenüber der ausgeprägt restriktiven Geldpolitik ist weiterhin beeindruckend. Insbesondere der Unternehmenssektor überrascht in diesem Zusammenhang auf der oberen Seite. Allerdings stiegen im Juli vor allem die privaten Konsumausgaben gegenüber dem Vormonat sehr deutlich an. Dieser Konsumzuwachs wurde aber nicht von einer ebenso starken Einkommensentwicklung begleitet, sodass in den kommenden Monaten eine schwächere Entwicklung wahrscheinlich ist. Wir gehen daher weiterhin von dem Szenario eines Soft Landings und damit keiner zeitnahen Rezession aus.
Prognoserevision: Aufwärtsrevisionen der BIP-Prognose für 2023 und 2024.
Märkte Industrieländer
Europäische Zentralbank / Geldmarkt
Bei der EZB-Ratssitzung am 14. September ist eine kontroverse Diskussion zu erwarten, ob die Geldpolitik weiter gestrafft werden sollte. Die Notenbanker wollen sicherstellen, dass das Inflationsziel von 2 % spätestens im Jahr 2025 erreicht wird. Trotz Verbesserungen in den vergangenen Monaten deuten die Indikatoren der zugrundeliegenden Inflation dies noch nicht an. Wir gehen jedoch davon aus, dass die neuen makroökonomischen Projektionen letztlich den Ausschlag geben werden, die Leitzinsen nicht weiter anzuheben. Dennoch dürfte die EZB noch für geraume Zeit auf die Möglichkeit zusätzlicher Zinserhöhungen hinweisen, falls die Inflation nicht im erwarteten Ausmaß zurückgeht. Mit dem Beginn von Leitzinssenkungen rechnen wir erst in der zweiten Hälfte kommenden Jahres. Die turnusmäßigen Refinanzierungsgeschäfte der EZB wurden auch in den vergangenen Wochen nur wenig in Anspruch genommen. Der Abbau der Überschussreserven dürfte daher noch weit von einer kritischen Schwelle entfernt sein, ab der mit Auswirkungen auf die Geldmarktsätze zu rechnen ist.
Rentenmarkt Euroland
In den vergangenen Wochen haben die Marktteilnehmer zum einen ihre Erwartungen bezüglich des Hochpunkts der EZB-Leitzinsen nach unten korrigiert. Zum anderen gehen sie von einer etwas später beginnenden Lockerung der Geldpolitik aus. Beide Anpassungen sollten sich noch etwas weiter fortsetzen und in der Summe zu leicht fallenden Renditen kurzlaufender Bundesanleihen führen. Am langen Ende sind die langfristigen Inflationserwartungen ein wichtiger Ankerpunkt für den Markt, da positive reale Renditen starkes Kaufinteresse von Anlegern generieren. In den kommenden Monaten sollten die rückläufigen Inflationsraten dämpfend auf die Inflationserwartungen und damit auch auf die Renditen langlaufender Bundesanleihen wirken. Zudem sollten die von US-Treasuries ausgehenden Belastungen tendenziell abnehmen.
Devisenmarkt: EUR-USD
In den vergangenen Wochen haben die Marktteilnehmer zum einen ihre Erwartungen bezüglich des Hochpunkts der EZB-Leitzinsen nach unten korrigiert. Zum anderen gehen sie von einer etwas später beginnenden Lockerung der Geldpolitik aus. Beide Anpassungen sollten sich noch etwas weiter fortsetzen und in der Summe zu leicht fallenden Renditen kurzlaufender Bundesanleihen führen. Am langen Ende sind die langfristigen Inflationserwartungen ein wichtiger Ankerpunkt für den Markt, da positive reale Renditen starkes Kaufinteresse von Anlegern generieren. In den kommenden Monaten sollten die rückläufigen Inflationsraten dämpfend auf die Inflationserwartungen und damit auch auf die Renditen langlaufender Bundesanleihen wirken. Zudem sollten die von US-Treasuries ausgehenden Belastungen tendenziell abnehmen.
Aktienmarkt Deutschland
Die Einkaufsmanagerindizes signalisieren, von sehr niedrigen Niveaus aus kommend, eine leichte Verbesserung der Stimmung im verarbeitenden Gewerbe. Dafür beginnen sich die Dienstleistungsbereiche jetzt etwas abzuschwächen. Der Konjunktur fehlen die positiven Impulse. Eine weitere spürbare Eintrübung zeichnet sich allerdings nicht ab. Die Unternehmen kommen mit dem niedrigen Wachstum bislang gut zurecht, und für die kommenden Quartale ist mit einem leichten Anstieg in den Ergebniszahlen zu rechnen. Die Bewertung der DAX-Unternehmen liegt unterhalb langjähriger Durchschnittswerte, was das Ausmaß von etwaigen Kurskorrekturen begrenzt halten sollte. Gleichzeitig bildet die Bewertung eine solide Ausgangsbasis für wieder steigende Kurse. Hinzu kommt, dass die Inflation im vierten Quartal zurückgehen wird und der Zinsgipfel in Sichtweite bzw. schon erreicht ist. In dieser Kombination ist zwar weiter mit Schwankungen, mittelfristig aber mit steigenden Notierungen zu rechnen.
Unternehmensanleihemarkt Euroland
Die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen handeln in Anbetracht der nur schwachen Wirtschaftslage auf erstaunlich niedrigem Niveau. Die Neuemissionspause während der Sommerferien hat die Spreads am Kassamarkt zusätzlich unterstützt. Vor allem aber sind die Geschäftsergebnisse großer europäischer Unternehmen zum zweiten Quartal überwiegend recht gut ausgefallen, und einige Firmen haben trotz einbrechender Stimmungsindikatoren ihre Prognosen für die zweite Jahreshälfte sogar etwas angehoben. Die Wiederaufnahme des Neuemissionsmarktes nach der Sommerpause hat bisher gut funktioniert. Die meisten Anleihen sind kräftig gezeichnet worden und konnten auch im Sekundärmarkt gut performen. Das absolute hohe Renditeniveau lässt Unternehmensanleihen weiterhin attraktiv erscheinen.
Emerging Markets
Märkte
Der Anstieg der US-Renditen führte in den vergangenen Wochen bei EM-Hartwährungsanleihen zu leichten Kursverlusten. EM-Lokalwährungsanleihen wurden dagegen von der Aussicht auf weitere Leitzinssenkungen in den Schwellenländern gestützt, nachdem in Brasilien der Zinssenkungszyklus eingeleitet worden ist. Auch die Euro- Schwäche unterstützte die Performance dieser Anlageklasse. Chinesische Aktien korrigierten im August aufgrund des überraschend schwachen Wachstums sowie der Sorgen um den wichtigen Immobilienmarkt. Nach zahlreichen, wenngleich vom Umfang begrenzten, Stimulusmaßnahmen der Regierung konnten sich CSI 300 und Hang Seng etwas erholen. Insgesamt setzte sich die Underperformance von EM-Aktien fort, und das Umfeld bleibt angesichts der Wirtschaftsprobleme in China schwierig. In den kommenden Monaten sehen wir aber für die Rentensegmente ein anhaltend gutes Umfeld, weil der Zinssenkungszyklus in weiteren Schwellenländern aufgenommen werden sollte und die Risiken eines dauerhaft zu hohen Inflationsdrucks in den USA nach unserer Einschätzung abgenommen haben.
Szenarien
Basisszenario (Wahrscheinlichkeit: 70 %)
Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung halten perspektivisch den Inflationsdruck hoch und dämpfen das globale Wachstum.
Regimewechsel am Kapitalmarkt durch dauerhaft höhere Zinsen.
Notenbanken haben ihren Leitzinsanhebungszyklus weitgehend abgeschlossen und agieren mit aufmerksamem Blick auf die Datenlage. Erste Leitzinssenkungen sind frühestens 2024 zu erwarten.
Weltwirtschaft durchläuft eine Schwächephase und wächst ab 2024 wieder kräftiger.
Wegen weiterhin zu hoher Inflation und wegen deutlich gestiegener Zinsen werden Geld- und Finanzpolitik bis auf Weiteres die Entwicklung von Wirtschaft und Kapitalmärkten nicht mehr so stützen können wie bisher.
Für Europa und die USA sind bis ins Jahr 2024 hinein schwaches Wachstum und zu hohe Inflationsraten zu erwarten.
In China begrenzen die zunehmende staatliche Regulierung und die Korrektur im Immobiliensektor das Wachstum.
Aktienmärkte bewegen sich moderat aufwärts mit hohen Schwankungen. Sie profitieren vom globalen Wachstum und vom Umbau der Wirtschaft mit Blick auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Zinsen dürften tendenziell niedriger als Inflationsraten bleiben. Kaufkrafterhalt der Geldanlagen funktioniert am besten über breit gestreute Wertpapieranlagen, allerdings unter Inkaufnahme von Wertschwankungen.
Negativszenario (Wahrscheinlichkeit: 20 %)
Zweitrundeneffekte bei der Inflation setzen Lohn-Preis-Spirale in Gang und führen für lange Zeit zu deutlich höheren Inflationsraten. Notenbanken sehen sich dadurch zu einer extrem restriktiven Geldpolitik gezwungen, die eine massive Rezession auslöst.
Belastungen durch spürbar gestiegene Zinsen lösen eine globale Bankenkrise aus.
Dramatische Eskalation des Russland-Ukraine-Kriegs mit Ausweitung auf weitere Länder. Infrastruktur-Sabotage als Mittel der unkonventionellen Kriegsführung. Anhaltende Ost-West-Konfrontation verringert positive Wachstumswirkungen der Globalisierung.
Stark gestiegene Staatsverschuldung löst in Verbindung mit den spürbar gestiegenen Zinsen regionale bzw. globale Schuldenkrisen aus mit dem Risiko einer umfassenden Finanzkrise bzw. in Euroland einem erneuten Infragestellen der Währungsunion.
Positivszenario (Wahrscheinlichkeit: 10 %)
Inflationsraten gehen innerhalb kürzester Zeit zurück und bleiben dann im Bereich der Notenbankziele. Notenbanken können Zinsen schnell auf neutrale Niveaus zurücknehmen.
Einfrieren des Russland-Ukraine-Konflikts führt zu zügiger Beruhigung von Wirtschaft und Finanzmärkten.
Kräftige Gewinnanstiege der Unternehmen führen zu deutlichen Aktienkursanstiegen und wirken als Triebfeder für die Investitionsdynamik.
Überraschend starke Wachstumsdynamik in den Emerging Markets mit Schubwirkung für globale Wirtschaft.