Interview mit Dr. Christian Finke und Alexander Spreer | „KI hilft uns beim Risikomanagement“
Reimann Investors ist als Family Office von Mitgliedern der gleichnamigen Unternehmerfamilie entstanden und hat sich anderen Anlegern geöffnet. Warum diese Erweiterung und welche Leistungen bieten Sie?
Finke: 1999 wurde das vormalige Familienunternehmen Benckiser mit der britischen Firma Reckitt & Coleman zu Reckitt Benckiser fusioniert. Im Vorfeld dessen hatten sich Teile der Familie Reimann, die hinter dem Family Office stehen, von ihrer Beteiligung am früheren Familienunternehmen getrennt. Um das eigene Vermögen nach den eigenen Vorstellungen zu verwalten, gründeten sie 2006 das Family Office, das sich um die Verwaltung des Vermögens der betreuten Familienmitglieder kümmert. Aber es gab Anfragen aus dem Umkreis der Familie, ob man wie die betreuten Familienmitglieder investieren könne. Daraus entstand eine Art „Family & Friends-Programm“, das sich weiterentwickelt hat. Es werden jetzt auch ausgewählte Co-Investoren betreut, welche die Werte der Familienmitglieder teilen und in gleicher Weise anlegen möchten.
Wie groß sind die verwalteten Vermögen?
Finke: Was das Vermögen der betreuten Familienmitglieder betrifft, möchten wir aus Gründen der Diskretion keine Aussage machen. Was die Co-Investoren betrifft, so betreuen wir ein Volumen im dreistelligen Millionenbereich, ausschließlich bezogen auf den Kapitalmarkt. Ein weiterer Bereich ist das Venture Capital, welches in Software-, Fintech- und Ecomtech-Startups investiert, die mit wegweisenden Technologien einen klaren Mehrwert für ihre Kunden schaffen.
Gibt es so etwas wie eine übergeordnete Anlagephilosophie? Bei einem Family Office steht ja in der Regel der Kapitalerhalt im Vordergrund.
Spreer: Die Familie ist sehr unternehmerisch geprägt und hat dazu eine professionelle Infrastruktur aufgebaut. Und genau das ist auch unsere Anlagephilosophie, sie ist unternehmerisch geprägt. Zum einen sichern wir das Vermögen für zukünftige Generationen, zum anderen nehmen wir auch strategische Chancen wahr. Wir agieren, wie gesagt, sehr fokussiert und haben einen klaren Spezialistenansatz für den Bereich Kapitalmarkt und Venture Capital. Im Bereich des Kapitalmarkts betreiben wir ein aktives Management. Wir diversifizieren nicht nur über Anlageklassen, sondern auch über Strategien. Wir betreiben eigenen Research, sind akademisch geprägt und entwickeln die Modelle stetig im Sinne unserer Bedürfnisse weiter.
Dazu gehört auch die Künstliche Intelligenz (KI), die ja rasant in Mode gekommen ist. Wie gehen Sie konkret vor? KI für Kursprognosen?
Spreer: Dazu ein kleiner Exkurs. Wenn man KI im Asset Management einsetzt, braucht man die entsprechenden Kompetenzen. Man muss verstehen, wie maschinelles Lernen funktioniert, was es kann und was es nicht kann. Man braucht Kenntnisse der Softwareentwicklung und der Programmierung, die mit dem Finanzmarktwissen kombiniert werden. Wir nutzen KI zum Beispiel im Risikomanagement. Wir haben dazu eine News-Alert-Engine entwickelt. Die analysiert die Überschriften von Nachrichten zu Aktien, also zu Einzeltiteln. Gibt es etwas Negatives in den Überschriften in Bezug auf die Entwicklungen im Kapitalmarkt? Wenn ja, dann schauen wir uns das genau an und entscheiden, ob die Aktien gehalten oder verkauft werden. Das macht nicht die KI automatisch. Sie unterstützt uns bei der Sichtung der Nachrichten. Die letzte Entscheidung treffen wir Menschen.
Deshalb entscheidet am Ende bei uns immer noch der Mensch, der die Nachricht in einem Umfeld einordnen muss.
Klingt gut, aber die Frage ist, ob das immer so klar ist, ob etwas positiv oder negativ für den Kapitalmarkt ist. Wir kennen alle Fälle, in denen die Börsen auf negative Nachrichten positiv reagieren, weil sie schon eine Besserung antizipieren.
Spreer: Deshalb entscheidet am Ende bei uns immer noch der Mensch, der die Nachricht in einem Umfeld einordnen muss. KI hilft uns bei der Filterung. Wir nutzen sie auch, um wöchentlich makroökonomische Nachrichten auszuwerten, zum Beispiel die wichtigsten News für die Entwicklung der Kapitalmärkte der Regionen Europa, Amerika und Asien. Das erspart uns eine Menge Arbeit bei der Erfassung großer Datenmengen. Aber wie gesagt, die Entscheidung, Risiko hoch oder runter, Aktien kaufen oder verkaufen, trifft der Mensch.
Finke: Sie haben ja auch nach Kursprognosen gefragt. Dazu möchte ich ergänzen, dass wir die empirische Kapitalmarktforschung genau im Blick haben. Da gibt es einige interessante Ansätze, die Renditen von Einzelaktien vorhersagen. Wir forschen aber auch selber, ob wir solche Ergebnisse replizieren und in der Praxis umsetzen können.
Wir alle wissen, dass es in den Märkten so etwas wie sich selbsterfüllende Prognosen gibt. Wenn die KI sagt, der DAX steigt auf 20.000 Punkte und alle glauben daran, dann erfüllt sich das von selbst, ist aber meist nicht nachhaltig.
Finke: In der Tat sind die Untersuchungen zum Market Timing mit KI nicht sehr valide. Denn im Zeitablauf gibt es immer eine starke Zufallskomponente, die nicht zu erfassen ist. Aber die Voraussage von Aktienrenditen scheint zuverlässiger und hilft bei der Entscheidung von Über- oder Untergewichtung.
Wie fassen Sie dann die bisherige Erfahrung mit KI zusammen?
Spreer: Grundsätzlich positiv und wir können uns gut vorstellen, weiter KI zu implementieren, jedoch sehen wir KI nicht als Universallösung, sondern als Unterstützung für spezifische Aufgaben. Aktuell hilft sie uns, die Nachrichtenflut zu sichten und zwar 24 Stunden am Tag, dies wäre ohne KI nur schwer umsetzbar.
Wenden wir uns jetzt den Anlageinstrumenten zu. Wo und wie setzen Sie ETFs ein?
Finke: Wir nutzen gerne ETFs, weil man damit einfach und kostengünstig Marktsegmente abdecken kann. Dazu haben wir einen Kern-und Satelliten-Ansatz auf der Aktien- wie der Anleihenseite. Bei den Aktien bestimmen wir, welche Segmente oder Regionen wir über- oder untergewichten. Bei den Anleihen kommen noch Kriterien wie Bonität, Laufzeit und das Segment hinzu.
Es gibt ja verschiedene Indizes und ETF-Anbieter. Wie wählen Sie konkret aus? Und hilft Ihnen dabei die KI?
Spreer: Bei der Auswahl setzen wir keine KI ein, weil es aus unserer Sicht keinen Mehrwert gibt. Wir schauen auf die üblichen Kriterien: Volumina, Kosten und Tracking Difference. Die Replikationsmethode haben wir auch im Blick, verfolgen aber keinen dogmatischen Ansatz. Wir mögen physische Replikation ohne Wertpapierleihe, aber im Einzelfall agieren wir in einzelnen Segmenten und bei kleinerer Gewichtung auch mit synthetischen Produkten und mit Wertpapierleihe.
Es gibt neben den Standardprodukten inzwischen eine Fülle von Strategie-ETFs, also mit Kriterien wie Dividendenstärke, Low Volatility, Minimum Varianz oder bestimmte Faktoren wie Value, Growth oder Size. Schließlich findet man auch semi-aktive ETFs, die das Exposure nach bestimmten Regeln steuern. Was nutzen Sie davon?
Spreer: Aktive Strategien im ETF-Mantel setzen wir nicht ein. Wir nutzen klassische Index-ETFs. Faktorinvestment in den Bereichen Momentum und Quality wird von uns selbst durchgeführt, wobei wir auf eigens entwickelte Modelle zurückgreifen und die Aktienselektion eigenhändig vornehmen.
Wie halten Sie es mit der Nachhaltigkeit? Die passt doch gut zu einem Familienvermögen?
Finke: Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt bei uns an Bedeutung. Wir als Family Office wollen die Werte der Familie widerspiegeln, und so verfolgen wir im Hinblick auf die nächste Generation sozusagen intrinsisch Nachhaltigkeit. Wir haben einen eigenen Wertekatalog dazu erarbeitet, der in Bezug auf Einzeltitel mit Ausschlusskriterien und Nachhaltigkeitsfiltern arbeitet. Bei ETFs ist es so, dass wir ESG-ETFs einsetzen, wo es aus unserer Sicht sinnvoll erscheint.
Nochmal zum Risikomanagement. Über das Warnsystem mit KI hinaus, wie gehen Sie im Einzelnen vor?
Finke: Das Thema hat verschiedene Ebenen. Die wichtigste ist wahrscheinlich die Diversifikation der verschiedenen Anlageklassen. Wir wollen ein Portfolio so robust aufstellen, dass es gut durch verschiedene Marktphasen kommt. Dazu gehören neben Aktien und Anleihen auch Rohstoffe sowie liquide alternative Investments. Letztere sind Spezialprodukte, mit denen man zum Beispiel in Absicherungsinstrumente oder in marktneutrale Strategien investieren kann. Das sind zum Beispiel Optionsstrategien, mit denen man von zunehmender Volatilität profitiert. Auf der nächsten Ebene kommt das aktive Risikomanagement. Wir steuern je nach Situation am Kapitalmarkt die Aktien- und Anleihequote. 2020 mit dem Corona-Crash haben wir unsere Aktienquote drastisch reduziert. Auch 2022 war schwierig, weil Aktien und Anleihen gleichzeitig gefallen sind. Wir haben die Aktienquote auf 40 Prozent reduziert und bei den Anleihen die Laufzeiten stark verkürzt. Also Diversifikation allein reicht nicht. In Extremphasen muss man aktiv agieren.
Spreer: Das betrifft dann auch die ETFs. Damit muss ich nicht Einzeltitel verkaufen, sondern kann en bloc zum Beispiel das Exposure mit dem S&P 500 um fünf Prozent reduzieren.
Unsere KI bewertet Nachrichten zu einzelnen Unternehmen und Volkswirtschaften, aber beispielsweise nicht die Nachrichten zu D. Trump
Damit kommen wir schon zur letzten Frage: Wie sind Sie im Augenblick aufgestellt? Die Börsen feiern vielfach Rekorde trotz mannigfacher Risiken wie Inflation, hohe Zinsen oder sogar Donald Trumps Rückkehr als Präsident der USA. Sind Sie defensiv oder weiterhin offensiv? Was sagt die KI?
Finke: Unsere KI bewertet Nachrichten zu einzelnen Unternehmen und Volkswirtschaften, aber beispielsweise nicht die Nachrichten zu Donald Trump. Für die kommenden Monate sehen wir das Marktumfeld weiterhin positiv. Trotz der aggressiven Zinspolitik wächst die US-Wirtschaft ordentlich. Die Märkte preisen ein Soft-Landing ein, dass es den Notenbanken gelingt, die Inflation zu bremsen und eine Rezession zu vermeiden. Europa sehen wir kritischer. Dort könnte es zu einer Rezession kommen. Wir haben unsere Schwellenwerte definiert. Wenn die gerissen werden, sind wir bereit, unser Aktienexposure zu reduzieren. Aber noch geht der Markt davon aus, dass die Notenbanken Mitte des Jahres beginnen werden, die Zinsen zu senken. Das trifft sich mit unserer Erwartungshaltung.