Kolumne Dr. Bernhard Jünemann. |
Ein Fall für De-Risking.

Der Abstieg chinesischer Aktien begann Anfang 2021, nachdem die Partei die Freiheit chinesischer privater Unternehmen praktisch beendete und seitdem stärker den Staatskapitalismus förderte. Damals warnte ich in dieser Kolumne vor dieser neuen Politik, die Wachstum und Innovation abwürgen könnte. Leider kam es viel schlimmer. Die drastische Null-Covid-Politik Pekings mit mehreren Lockdowns erstickte das Wachstum nahezu. Davon hat sich das Land auch nach der Kehrtwende in der Covid-Politik noch nicht wieder erholt, auch wenn das Wachstum inzwischen wieder angesprungen ist.

Abzulesen ist die Entwicklung an den Kursen der MSCI China ex A shares ETFs, die auf Aktien setzen, die ohne Restriktionen von ausländischen Adressen erworben werden können. Die Fonds stürzten bis Ende 2022 um rund 65 Prozent ab, konnten sich danach wieder kräftig erholen, sind aber immer noch rund 50 Prozent vom Hochpunkt 2021 entfernt.

In der Tat werden chinesische Aktien inzwischen deutlich skeptischer betrachtet. Die Provinzregierungen haben gewaltige Schulden angehäuft, der Immobilienmarkt wackelt und die Konsumlaune ist gedämpft, auch wenn der Export wieder besser läuft. Immerhin sollte China in diesem Jahr wieder fünf Prozent Wachstum erzielen können.

Über allem jedoch schwebt ein großes politisches Risiko. Wie wird China mit Taiwan verfahren, das es als abtrünnige Provinz betrachtet? Wird es die Insel mit militärischer Gewalt mit der Volksrepublik vereinigen? Die Rhetorik ist durchaus besorgniserregend. Wurde früher stets eine „friedliche Vereinigung“ propagiert, so heißt es heute: „Notfalls mit militärischer Gewalt.“ Entsprechende Drohgebärden mit wiederkehrenden Militärmanövern scheinen diese Option wahrscheinlicher zu machen.

Um es klar zu sagen: Kommt es tatsächlich zu einem Angriffskrieg auf Taiwan, das ein wichtiges Zentrum der Chipherstellung ist, und folgt daraus die große Auseinandersetzung mit den USA wie schon im Koreakrieg 1950 bis 1953, dürfte die Welt insgesamt in heftige Turbulenzen gestürzt werden. Chinesische Aktien wären dann eher ein kleines Problem.

Doch kommt es wirklich dazu? Ich denke nicht, sofern rationale Überlegungen in China angestellt werden. Genau das ist aber das Problem: Wer weiß schon, was im Kopf von Diktatoren vorgeht. Auch Putin wurden früher rationale Kalküle bescheinigt, bevor er sich in Mythen russischer imperialer Größe verlor. Dass China, das Prinzip alle zehn Jahre die Führung neu aufzustellen, aufgegeben hat und Präsident Xi lebenslang regieren kann, mahnt zur Vorsicht.

Doch unterstellen wir weiterhin rationales Verhalten in China. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wird in Peking genau verfolgt. Er macht deutlich, dass die Einheit des Westens größer als erwartet ist, so dass die Kosten eines Angriffskrieges gegen Taiwan für China erheblich sein dürften. Die russische Fehlkalkulation macht einen Angriff auf Taiwan weniger wahrscheinlich.

Auch hat China viel mehr zu verlieren als Russland, das in der Weltwirtschaft außer bei Rohstoffen kaum Bedeutung hat. Peking profitiert von dieser Verflechtung enorm, nicht nur durch Exporte. Auch wenn der Westen jetzt sogenanntes De-Risking betreibt, bleibt die wirtschaftliche Stärke Chinas wohl erhalten. Die würde durch einen Taiwan-Krieg aufs Spiel gesetzt.

Deshalb gehe ich davon aus, das Peking trotz aller Propaganda-Verlautbarungen und Militärmanöver doch bei einem friedlichen Weg bleibt. Ob eine friedliche Vereinigung mit dem Einverständnis Taiwans möglich ist, darf jedoch bezweifelt werden. Nach dem Negativ-Beispiel Hongkongs, wo China der Demokratiebewegung unter Bruch der bestehenden Verträge den Garaus gemacht hat, schreckt Taiwan ab. Eine Vereinigung mit dem jetzigen System Chinas würde das Ende aller Freiheiten bedeuten. Taiwans Regierung versteht, dass es bestenfalls den Schwebezustand aufrechterhalten kann. Dazu muss sie die einseitige Erklärung der Unabhängigkeit vermeiden. Andernfalls wäre das für Peking das Überschreiten einer roten Linie.

Vor diesem Hintergrund bleibt die Taiwan-Frage für die Märkte weiterhin ein Belastungsfaktor, zumal die Volksrepublik militärisch weiter aufrüstet. Dieser Faktor sollte mal mehr mal weniger wirken, aber vorerst beherrschbar sein. Chinesische Aktien dürften mit einer weiteren Erholung wieder ein Investment wert sein, aber Anlegerinnen und Anleger müssen das politische Risiko stets im Auge behalten. Auch wenn China demnächst ein Drittel zum Wachstum der Weltwirtschaft beitragen könnte und stärker als die westlichen Industrieländer wachsen sollte, wie es der Internationale Währungsfonds voraussagt, sollte der China-Anteil in global aufgestellten Portfolios deutlich geringer als das Drittel der entsprechenden Wirtschaftskraft sein. Auch die Geldanlage erfordert in punkto China De-Risking.

Aber Anlegerinnen und Anleger müssen das politische Risiko stets im Auge behalten.
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