Makro Research mit Dr. Ulrich Kater | Besinnliche Jahresendrallye?
Die Weihnachtsmärkte haben geöffnet und trotz Preisanstiege leistet man sich auch in diesem Jahr wieder einen Glühwein, schon allein aus Tradition. Es kehrt nun etwas Ruhe ein, man könnte es Besinnlichkeit nennen. Aufregung gab es schließlich in diesem Jahr genug, wenngleich sich die Finanzmarktakteure hiervon erstaunlicherweise kaum beirren ließen. Seit Mitte November sind die Kurse an den Aktien- und an den Rentenmärkten gestiegen, der Deutsche Aktienindex DAX erklomm Anfang Dezember erstmals die Marke von 20.000 Punkten. Ist das der Auftakt zu einer besinnlichen Jahresendrallye?
Zweifellos kann man den Finanzmärkten vieles zuschreiben, aber Emotionen wie Besinnlichkeit gehören eher nicht dazu. So wurden im Umfeld der US-Präsidentschaftswahl ganz nüchtern sogenannte Trump-Trades aufgesetzt: Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen stiegen wegen der Zollerhöhungsdrohungen und der Sorgen bezüglich einer ausufernden Staatsverschuldung bis Mitte November kräftig an. Die Aktienmärkte schielten dagegen auf die angekündigten Unternehmenssteuersenkungen der neuen US-Regierung und frohlockten wegen der entsprechend besseren Gewinnperspektiven. Aufkeimende Sorgen um die Konjunktur wegen der zinsbedingten Bremseffekte sind inzwischen der Zuversicht gewichen, dass Trump seine Zolldrohungen nicht in vollem Umfang umsetzen wird, vielmehr möchte er mit diesen wohl vor allem Zugeständnisse seiner Handelspartner bei Verhandlungen erreichen. So sind die für die Schuldenaufnahme relevanten Anleiherenditen dies- und jenseits des Atlantiks bereits wieder etwas zurückgekommen. Die Erwartung weiterer Leitzinssenkungen auf neutrale Niveaus bildet nach wie vor die Basis für freundliche Wertpapiermärkte, selbst wenn die US-Notenbank Fed zwischenzeitlich eine Pause im Zinssenkungszyklus einlegen könnte, wie wir es nunmehr erwarten.
Den Finanzmarktakteuren könnte in den kommenden Wochen jedoch noch einiges an Wasser in den Glühwein geschüttet werden. Die Unwägbarkeiten hinsichtlich der künftigen US-Wirtschaftspolitik, die Regierungskrise in Frankreich und nicht zuletzt die erhebliche Ausweitung der Staatsverschuldung in einem Großteil der Industrieländer legen volatilere Marktbewegungen in den kommenden Wochen nahe. Die Aussicht auf ein weiterhin solides globales Wirtschaftswachstum stützt jedoch den längerfristig freundlichen Trend an den Finanzmärkten.
Konjunktur Industrieländer
Deutschland
Der November hatte es in sich: Trump gewann die US-Präsidentschaftswahlen und die Ampelregierung in Deutschland zerbrach. Beide Ereignisse dürften die Unternehmerstimmung belasten. In den Novemberumfragen wurden diese Ereignisse zumeist nicht oder nur in geringem Umfang berücksichtigt. Im Dezember werden wir mehr wissen. Die harten Indikatoren – zumeist für den Berichtsmonat September – waren überwiegend schwach, der Start in das Schlussquartal 2024 erfolgte also mit angezogener Handbremse. Als möglicher Belastungsfaktor kommt der starke Aufbau von Fertigwarenlager im letzten halben Jahr hinzu. Eine anziehende Nachfrage würde wohl zuerst aus den Lagern bedient werden.
Prognoserevision: Leichte Abwärtsrevision des Bruttoinlandsprodukts 2024 und 2025.
Euroland
Die Frühindikatoren deuten an, dass die Wachstumsdynamik der europäischen Wirtschaft geringer wird. Insbesondere die Industrieschwäche scheint auch im laufenden Quartal Bestand haben. Darüber hinaus hat mit dem neuen US-Präsidenten das Risiko für zusätzliche Belastungen der europäischen Exportindustrie zugenommen. Der Arbeitsmarkt im Euroraum zeigt sich von der gestiegenen politischen Unsicherheit unbeeindruckt. Die EWU-Arbeitslosenquote verharrte im Oktober auf ihrem Allzeittief von 6,3 %. Die Arbeitslosenquoten liegen zwischen 3,4 % in Deutschland und 11,2 % in Spanien. Italien und Frankreich reihen sich mit 5,8 % bzw. 7,6 % dazwischen ein.
Prognoserevision: Abwärtsrevision der BIP-Prognosen für 2024 und 2025.
USA
Das Bruttoinlandsprodukt ist nach inoffiziellen Berechnungen im Oktober um 0,3 % gegenüber dem Vormonat angestiegen. Hierbei spielte vermutlich die nachlassende Hurrikan-bedingte Belastung eine Rolle. Auch die zwischenzeitlich deutlich niedrigeren Zinsen vom Spätsommer dürften die wirtschaftliche Aktivität gestärkt haben. Während die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung etwas kräftiger als erwartet ist, haben wir unseren Wachstumsausblick für 2025 nach unten korrigiert. Hintergrund hierfür ist die Annahme, dass im Frühjahr Zollanhebungen insbesondere gegenüber China für einen erneuten Preisschub sorgen werden und hierdurch die Konsumentwicklung belastet wird. Zudem dürfte das Ausmaß an geldpolitischer Lockerung 2025 weniger ausgeprägt sein als bislang unterstellt.
Prognoserevision: Abwärtsrevision des Bruttoinlandsprodukts sowie Aufwärtsrevision der Inflationsprognose 2025.
Märkte Industrieländer
Europäische Zentralbank / Geldmarkt
Einige EZB-Ratsmitglieder zeigten sich zuletzt zuversichtlich, ihr Inflationsziel möglicherweise früher zu erreichen als bislang angenommen. Gleichzeitig sorgen sie sich aber auch über die nachlassende Konjunkturdynamik, zusätzlich getrieben durch Zolldrohungen aus den USA. Daher dürfte die EZB den zuletzt leicht beschleunigten Zinssenkungspfad fortsetzen und bei der kommenden Dezember-Sitzung und voraussichtlich auch bei den beiden folgenden Treffen im Januar und März den Einlagensatz um jeweils 25 Basispunkte senken. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Notenbanker im weiteren Verlauf bis in den expansiven Bereich vorstoßen, sehen wir jedoch nach wie vor als gering an und erwarten eine Annäherung auf ein in etwa neutrales Leitzinsniveau bei 2,0 % mit zwei weiteren Zinsschritten im Juni und September. In den Geldmarkt-Futures wird dagegen ein etwas schnellerer und weitreichender Pfad bis unter 2,0 % bereits im Frühsommer eingepreist.
Rentenmarkt Euroland
Die Stimmungsindikatoren für die EU-Konjunktur haben auch wegen der Sorgen über einen Zollstreit mit den USA und China enttäuscht. Dies hat die Inflationserwartungen und damit auch die Renditen für Anleihen der Euro-Länder spürbar gedrückt. Bundesanleihen konnten dabei wieder etwas von der vorherigen Underperformance gegenüber den Swapsätzen aufholen. Sie profitieren von einer Flucht in Qualität aus Unsicherheit über die Regierungskrise in Frankreich. Die Risikoaufschläge französischer Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen sind in der Folge auf den höchsten Stand seit der Eurokrise geklettert. Die Nervosität um die Finanzierungskosten für Frankreich dürfte in den kommenden Monaten hoch bleiben, doch eine Eurokrise erwarten wir nicht. Bundrenditen dürften über die gesamte Zinskurve hinweg wieder leicht zulegen.
Prognoserevision: Leicht verringerte kurzfristige Renditeprognosen.
Devisenmarkt: EUR-USD
Der Euro hat es derzeit nicht leicht. Der Wahlsieg von Donald Trump, der in den USA seit Anfang Oktober zu kräftigen Renditeanstiegen geführt hatte, kombiniert mit hoher politischer Unsicherheit in den beiden größten Euro-Ländern Deutschland (Neuwahlen im Februar 2025) und Frankreich (Misstrauensvotum gegen die Regierung Barnier) lassen die Gemeinschaftswährung gegenüber dem US-Dollar blass aussehen. Die Renditedifferenz zwischen den 2-jährigen US-Treasuries und Bundesanleihen ist zuletzt mit etwa 220 Basispunkten auf den höchsten Stand seit zwei Jahren angestiegen, sodass der Wechselkurs in der zweiten November-Hälfte auf ein Zweijah-restief von 1,0412 USD je EUR gefallen ist. Damit hat der US-Dollar seit dem Jahreshoch des Wechselkurses Ende September um 8 US-Cent gegenüber dem Euro aufgewertet.
Prognoserevision: Abwärtsrevision des Prognoseverlaufs.
Aktienmarkt Deutschland
Trotz der politischen Turbulenzen in Frankreich, Deutschland und den USA konnte der DAX zuletzt neue Rekordstände erzielen. Den EURO STOXX 50 ließ er weiter hinter sich. Allerdings basiert die gute Performance auf einer Bewertungsausweitung, denn die jüngste Berichterstattung der DAX-Unternehmen war enttäuschend. Rechnet man den extrem schwachen Automobilsektor heraus, sind die Indexgewinne leicht angestiegen. Mit der neuen US-Regierung und den Neuwahlen in Deutschland bleiben die strukturellen Herausforderungen für die deutschen Unternehmen hoch. Je schneller und klarer die neuen Regierungen ihre Vorhaben kommunizieren, desto besser können sich die Unternehmen auf die geänderten Rahmenbedingungen einstellen. Auch in der Vergangenheit haben sie immer wieder ihre hohe Flexibilität erfolgreich unter Beweis gestellt. Dies spricht langfristig – in Kombination mit einer intakten Weltwirtschaft, einer unauffälligen Bewertung und niedrigen Zinsen – für moderate Kurszuwächse.
Prognoserevision: Leichte Aufwärtsrevision 3- und 12-Monatsprognose.
Unternehmensanleihemarkt Euroland
Die Stimmung für Risikoassets bleibt ungeachtet diverser politischer Risiken und nur mäßiger Konjunkturaussichten sehr gut. Die Renditen von Unternehmensanleihen sind zuletzt mit nachgebenden Bundrenditen weiter gesunken. Kassa-Anleihen hängen allerdings Kreditderivaten weiterhin in der Spreadentwicklung hinterher, da sich die Risikospreads in der Betrachtung gegenüber den Swapsätzen ausgeweitet haben. Französische Adressen leiden unter der Unsicherheit infolge der Regierungskrise, vor allem Bankentitel sind etwas unter Abgabedruck geraten. Bei Neuemissionen haben Hochrisikofirmen in diesem Jahr stark aufgedreht und sind dabei auf sehr große Nachfrage der Investoren gestoßen. Dies hat die Sorge über eine stark aufsteigende „Maturity Wall“ in den kommenden Jahren deutlich abgefangen.
Emerging Markets
Märkte
Der Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen hat die Finanzmärkte nicht verunsichert. Größte Gewinner waren der US-Dollar und die US-Aktienmärkte. Zu den größten Verlierern zählte der Euro, auch gegenüber den meisten Schwellenländerwährungen. Die Euro-Schwäche hilft der Performance von EM-Lokalwährungsanleihen und EM-Aktien. Die Renditen sind in den vergangenen Wochen in den meisten Währungsräumen gesunken, was dafür spricht, dass die Konjunkturrisiken wegen der Erwartung eines zunehmenden Protektionismus stärker gewichtet werden. Für die US-Notenbank werden für 2025 trotzdem mittlerweile weniger Zinssenkungen erwartet als vor der US-Wahl, was auf dem globalen Wachstumsausblick lastet, den Spielraum für Zinssenkungen der Schwellenländer zugleich aber einengt. Die Spreads von EM-Hartwährungsanleihen liegen nahe ihren 5-Jahres-Tiefständen, was in Kombination mit den gestiegenen Konjunkturrisiken für leichte Spreadausweitungen in den kommenden Monaten spricht. EM-Aktien dürften weiterhin unter der schwierigen Lage der chinesischen Wirtschaft leiden.
Szenarien
Basisszenario (Wahrscheinlichkeit: 65 %)
Anpassungen nach der Ausnahmesituation durch die Corona-Pandemie und der langen Jahre der Nullzinspolitik verlaufen überraschend geschmeidig. Weltwirtschaft wächst mit durchschnittlich rund 3 % pro Jahr.
Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung erhöhen perspektivisch den Inflationsdruck und dämpfen das globale Wachstum.
Notenbanken senken Leitzinsen in Abhängigkeit von der Inflationsentwicklung und sind dabei wachsam, dass die mittelfristigen Inflationserwartungen im Zielbereich von 2 % verankert bleiben.
Lockerung der Geldpolitik stützt Konjunktur und Kapitalmärkte. Fiskalpolitik bleibt angesichts struktureller Herausforderungen (wie Klimawandel, Sozialversicherungssysteme, Demografie usw.) global eher expansiv. Allgemein ist ein Trend zu höherer Staatsverschuldung zu beobachten.
Regierungswechsel in den USA und Bruch der Ampelkoalition in Deutschland erhöhen politische Unsicherheit, haben aber kurzfristig nur begrenzte Auswirkungen auf die Konjunktur.
Leichte konjunkturelle Belebung in Euroland. US-Wirtschaft zeigt sich robust.
In China begrenzen die zunehmende staatliche Regulierung und die Korrektur im Immobiliensektor das Wachstum.
Aktienmärkte bewegen sich moderat aufwärts mit hohen Schwankungen. Sie profitieren vom globalen Wachstum und vom Umbau der Wirtschaft mit Blick auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Zinsen dürften tendenziell Inflationsraten nur knapp übertreffen. Kaufkrafterhalt der Geldanlagen funktioniert am besten über breit gestreute Wertpapieranlagen, allerdings unter Inkaufnahme von Wertschwankungen.
Negativszenario (Wahrscheinlichkeit: 25 %)
Stark steigende Staatsverschuldung – insbesondere in Frankreich – löst eine europäische Schuldenkrise aus und birgt das Risiko einer Finanzkrise bzw. eines erneuten Infragestellens der europäischen Währungsunion.
Einführung neuer Handelsbeschränkungen durch die USA führt zu einem Handelskrieg mit China, der auch Europa erfasst und das globale Wachstum empfindlich bremst.
Deutlich höhere Inflationsraten aufgrund von umfassenden protektionistischen Maßnahmen oder von spürbar steigenden Staatsschulden lösen Lohn-Preis-Spirale aus. Notenbanken sehen sich dadurch zu einer nochmaligen Straffung der Geldpolitik gezwungen, die zu einer massiven Rezession führt.
Dramatische Eskalation des Russland-Ukraine-Kriegs oder des militärischen Konflikts im Nahen Osten mit Ausweitung auf weitere Länder. Infrastruktur-Sabotage als Mittel der unkonventionellen Kriegsführung. Deutlich verschärfte Konfrontation zwischen zwei Blöcken mit den USA und China als Leitmächten bzw. die Verschiebung globaler politischer Gewichte zugunsten autoritärer Regimes verringert positive Wachstumswirkungen der Globalisierung.
Positivszenario (Wahrscheinlichkeit: 10 %)
Einfrieren der geopolitischen Konflikte führt zu zügiger Beruhigung von Wirtschaft und Finanzmärkten.
Eine beherzte Konsolidierung der öffentlichen Staatshaushalte sowie durchgreifende Strukturreformen stärken das globale Wachstum.
Kräftige Gewinnanstiege der Unternehmen lassen Aktienkurse deutlich steigen und wirken als Triebfeder für die Investitionsdynamik.
Überraschend starke Wachstumsdynamik in den Emerging Markets mit Schubwirkung für globale Wirtschaft.