Makro Research mit Dr. Ulrich Kater |
EZB hat erste Leitzinssenkung geliefert

Die Weltwirtschaft befindet sich auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht. Bislang sind die Zwanzigerjahre geprägt von Schocks wie der Pandemie und dem Krieg in Europa. Hinzu kommen die Transformationsanforderungen an Unternehmen und Gesellschaften aus der Demografie, der Digitalisierung sowie dem Klimawandel. Geschäftsmodelle von Unternehmen werden überdacht und angepasst. Die Veränderungsprozesse brauchen Zeit, sind mit Unwägbarkeiten behaftet und dürften kaum gänzlich reibungsfrei ablaufen.

Aus Kapitalmarktsicht kommt erschwerend hinzu, dass nach der großen Inflationswelle von 2021 bis 2023 und den einschneidenden Zinserhöhungen der Notenbanken die anstehende Normalisierung der Geldpolitik mit Unsicherheiten behaftet ist. So ist es offenkundig nicht zu den vor einem halben Jahr erwarteten frühen Leitzinssenkungen gekommen. Die Ende 2023 deutlich rückläufigen Anleiherenditen sind inzwischen wieder auf deutlich höheren Niveaus. In den USA zeigte sich die Konjunktur äußerst widerstandsfähig, und die Inflationsraten sind nicht wie gewünscht zurückgegangen. Der US-Notenbank Fed wird es wohl schwerfallen, vor November den Leitzins erstmalig zu senken. So ist die Europäische Zentralbank der Fed zuvorgekommen und hat auf ihrer Juni-Sitzung die Leitzinswende eingeleitet. Die Notenbanken haben in den letzten Monaten darauf hingewiesen, dass sie ihren geldpolitischen Kurs wegen der vielen Unwägbarkeiten datenabhängig gestalten wollen. Es ist also nicht sicher, dass es zu regelmäßigen Leitzinssenkungen kommt.

Zweifellos braucht es für ein neues realwirtschaftliches Gleichgewicht perspektivisch niedrigere Leitzinsen als jetzt. Dies steckt weltweit auch in den Köpfen der Finanzmarktteilnehmer. Nun richten sich die Blicke der Volkwirte und Analysten gebannt auf die monatlichen Daten zum Arbeitsmarkt und zur Inflation aus den USA und der Eurozone. In der zweiten Jahreshälfte dürfte es hier noch die eine oder andere negative Überraschung geben. Doch reicht die Konfidenz in die absehbare geldpolitische Lockerung aus, um positive Kursentwicklungen an Aktien- und Rentenmärkte erwarten zu können.

Konjunktur Industrieländer

Deutschland

Deutschland sammelt sich für die Erholung. Noch läuft es im zweiten Quartal nicht richtig rund, doch die Stimmungsindikatoren werden besser, insbesondere, wenn sie in die Zukunft blicken. Weiterhin scheint die Konjunktur gespalten zu sein. Die Stimmung bei den Dienstleistern ist gut und steigt an, während sie in der Industrie noch sehr verhalten ist. Immerhin konnte sich auch der Industrie-Einkaufsmanagerindex im Mai verbessern. Die Hoffnungen ruhen nun auf dem zweiten Halbjahr, wenn die zunehmende Kaufkraft der Konsumenten sich auch in eine steigende Nachfrage ummünzt.

Prognoserevision: Leichte Aufwärtsrevision der Konjunktur- und Inflationsprognose.

Deutschland: Bruttoinlandsprodukt
Deutschland: Bruttoinlandsprodukt

Euroland

Der gelungene Jahresauftakt der Euroland-Wirtschaft mit einem Wachstum im ersten Quartal von 0,3 % im Vergleich zum Vorquartal dürfte kein Ausrutscher gewesen sein. Die Frühindikatoren deuten eine fortschreitende Erholung an, sodass im laufenden Quartal sogar mit einer leichten Beschleunigung der Konjunkturdynamik gerechnet werden kann. Die vorübergehende Wachstumsschwäche im zweiten Halbjahr 2023 hat den europäischen Arbeitsmarkt nicht erkennbar belastet, und die außergewöhnliche Stärke setzt sich fort. Die Arbeitslosenquote in Euroland erreichte im April ein neues Allzeittief von 6,4 %. Dabei bleibt die Heterogenität unter den vier großen EWU-Ländern hoch. Die Arbeitslosenquoten liegen im Bereich von 11,7 % in Spanien und 3,2 % in Deutschland. Dazwischen reihen sich Italien (6,9 %) und Frankreich (7,3 %) ein.

Euroland: Bruttoinlandsprodukt
Euroland: Bruttoinlandsprodukt

USA

Das Bruttoinlandsprodukt für das erste Quartal ist leicht nach unten revidiert worden. Dies sorgt auch für eine leichte Abwärtskorrektur unserer Jahresprognose 2024. Laut inoffiziellen Berechnungen nahm das Bruttoinlandsprodukt im April um knapp 0,3 % gegenüber dem Vormonat zu. Nach sechs Monaten in Folge mit außergewöhnlich hohen Anstiegen und negativen Rückpralleffekten war der Zuwachs im April erstmals wieder im Bereich des „normal üblichen“. Hiervon kann bei der Preisdynamik weiterhin nicht gesprochen werden. Sowohl die Verbraucherpreise als auch der Deflator der privaten Konsumausgaben wiesen im April monatliche Preisanstiege auf, die mit dem Inflationsziel der Fed in Höhe von 2 % nicht vereinbar sind. Damit war der April aus geldpolitischer Sicht der vierte verlorene Monat in Folge.

Prognoserevision: Abwärtsrevision der Bruttoinlandsproduktprognose für 2024.

USA: Bruttoinlandsprodukt
USA: Bruttoinlandsprodukt

Märkte Industrieländer

Europäische Zentralbank / Geldmarkt

Wie lange im Vorfeld signalisiert, hat die EZB auf ihrer Ratssitzung am 6. Juni zwar die Leitzinsen um 25 Basispunkte gesenkt. Dabei ließ sie jedoch nicht die Absicht erkennen, diesen Kurs zügig fortzusetzen. Sie hat ihre Inflationsvorhersagen für dieses und das kommende Jahr leicht angehoben. Zudem beruhen ihre makroökonomischen Projektionen nach wie vor auf optimistischen Annahmen über Löhne, Gewinnmargen und Arbeitsproduktivität. Vor diesem Hintergrund dürften die Notenbanker die nächsten Zinsschritte an strengere Voraussetzungen knüpfen. Wir rechnen mit weiteren Leitzinssenkungen im Quartalsrhythmus, mit dem asymmetrischen Risiko einer langsameren Lockerung, falls zukünftige Projektionen ein späteres Erreichen des Inflationsziels anzeigen sollten. Der ab September engere Zinskorridor zwischen Hauptrefinanzierungs- und Einlagensatz dürfte kurzfristig keine nennenswerten Auswirkungen auf die Geldmarktsätze haben. Auf längere Sicht dämpft er den Aufwärtsdruck, der von weiter rückläufigen Überschussreserven ausgehen würde.

EZB: Hauptfinanzierungsansatz
EZB: Hauptfinanzierungsansatz

Rentenmarkt Euroland

Die Renditen kurzlaufender Bundesanleihen sind in den vergangenen Wochen per Saldo leicht angestiegen. Trotz der seit langem antizipierten ersten Leitzinssenkung der EZB gehen die Anleger davon aus, dass die Geldpolitik noch für längere Zeit restriktiv bleiben wird. Angesichts dieser Erwartungen sollten weitere Zinsschritte im Quartalsrhythmus jedoch Abwärtsdruck auf die Renditen am kurzen Ende ausüben, selbst wenn die Marktteilnehmer nicht geneigt sind, diese Lockerung weit in die Zukunft zu extrapolieren. Die längeren Laufzeitbereiche dürften sich diesem Einfluss zunächst weitgehend entziehen, da hier der sich bessernde Konjunkturausblick und die hohen Renditen von US-Treasuries belastend wirken. Erst bei einer weiter vorangeschrittenen Normalisierung der Geldpolitik sehen wir auch hier Spielraum für etwas niedrigere Renditen.

Bundesanleihen: Renditen in % p.a.
Bundesanleihen: Renditen in % p.a.

Devisenmarkt: EUR-USD

Der EUR-USD-Wechselkurs ist Anfang Juni auf die Marke von 1,09 angestiegen. Die EZB hat ihre Leitzinsen beim Zinsentscheid am 6. Juni erwartungsgemäß gesenkt. Dagegen gaben die jüngsten Preisdaten aus den USA noch kein grünes Licht für die Leitzinswende der Fed, sodass wir die erste Leitzinssenkung in den USA nun im November und damit etwas später als zuvor (September) erwarten. Dadurch verlängert sich die Unterstützung für den US-Dollar seitens der Geldpolitik, was an den Märkten bereits weitestgehend eingepreist ist. So dürfte der Wechselkurs in den nächsten Monaten seitwärts tendieren, es sei denn, die US-Makro-Daten sorgen erneut für Überraschungen und bewegen die Erwartung zur Leitzinswende der Fed nach vorne oder sogar noch weiter nach hinten.

Wechselkurs EUR-USD
Wechselkurs EUR-USD

Aktienmarkt Deutschland

Die deutsche Konjunktur hat ihren Tiefpunkt durchschritten und ist im ersten Quartal etwas besser gelaufen als erwartet. Gleiches gilt für die Stimmung der Unternehmen, denn in den zuletzt veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes zeigten sich die Unternehmen erneut etwas zuversichtlicher, was ihre Geschäftserwartungen anbelangt. In Kombination mit einer stabilen Weltwirtschaft ist somit die Grundlage für eine solide Gewinnentwicklung der Firmen nicht nur im aktuellen Quartal, sondern auch für das Gesamtjahr 2024 gelegt. Trotz der zurückliegenden guten Wertentwicklung handelt der deutsche Aktienmarkt im Vergleich zu seiner Historie auf lediglich durchschnittlich hohen Niveaus. In Kombination mit der schrittweisen geldpolitischen Lockerung der Notenbanken ist die Grundlage nicht nur für weitere Kurszuwächse, sondern auch für hohe laufende Erträge durch Dividendenausschüttungen intakt.

Aktienmarktprognose
Aktienmarktprognose

Unternehmensanleihemarkt Euroland

Unternehmensanleihen erfreuen sich unverändert großer Beliebtheit. Zwar wird der Zinssenkungspfad der EZB wohl zäher verlaufen als erhofft, doch dafür hellen sich die Anzeichen für eine Konjunkturbelebung vorsichtig auf. Dadurch bleiben die Risikoaufschläge von Unternehmensanzeichen unterstützt – wenn auch auf niedrigem Niveau – und bieten zusammen mit dem allgemein eher hohen Zinsniveau attraktive laufende Renditen. Die unverändert hohe Neuemissionstätigkeit hält zudem die Spreads von KassaAnleihen leicht erhöht im Vergleich zum Derivatemarkt (CDS-Spreads und iTraxx Indizes). Erfreulich ist auch die gute Nachfrage nach der deutlich angezogenen Neuemissionstätigkeit von High Yield-Emittenten. Denn Sorgen vor stark steigenden Fälligkeiten in den nächsten beiden Jahren könnten dieses Marktsegment belasten.

iTraxx Europe (125)
iTraxx Europe (125)

Emerging Markets

Märkte

Die Segmente des Schwellenländeranleihenuniversums haben sich in den vergangenen Wochen gegenläufig entwickelt. Hartwährungsanleihen profitierten vom Rückgang der US-Renditen, während die Renditen von Lokalwährungsanleihen im Zuge der Auspreisung von Zinssenkungserwartungen für Schwellenländer-Zentralbanken gestiegen sind. EM-Aktien litten vor allem unter der erneuten Schwäche chinesischer Aktien, nachdem die Freude über neue Stützungsmaßnahmen für den Immobiliensektor schnell verflogen ist. Für die Rentenmärkte dürften auf Sicht der kommenden Monate zunächst klare Impulse fehlen, während wir für globale Aktien mit einem anhaltend konstruktiven Umfeld rechnen. Mit dem Näherrücken der US-Präsidentschaftswahl (5. November) dürfte dann jedoch die Nervosität bei Schwellenländeranlagen zunehmen, da im Falle eines Wahlsiegs von Donald Trump die Gefahr neuer protektionistischer Maßnahmen steigt. Gestützt werden dürfte die Stimmung vom Beginn des Zinssenkungszyklus in den USA, den wir für die Novembersitzung der Fed und damit fast zeitgleich mit dem Wahltag erwarten.

EMBIG-Spread
EMBIG-Spread

Szenarien

Wir haben unsere Szenarien leicht angepasst, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten jedoch unverändert gelassen.

Basisszenario (Wahrscheinlichkeit: 70 %)

Anpassungen nach der Ausnahmesituation durch die Corona-Pandemie und der langen Jahre der Nullzinspolitik verlaufen überraschend geschmeidig. Weltwirtschaft wächst mit durchschnittlich rund 3 % pro Jahr.

Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung halten perspektivisch den Inflationsdruck erhöht und dämpfen das globale Wachstum.

Notenbanken haben ihren Leitzinsanhebungszyklus abgeschlossen und lassen Leitzinsen unverändert, bis sichergestellt ist, dass die mittelfristigen Inflationserwartungen im Zielbereich von 2 % verankert bleiben. Nachdem einige Industrieländer-Notenbanken erste Leitzinssenkungen vorgenommen haben, dürften die Leitzinsen dennoch für längere Zeit oberhalb der neutralen Niveaus verharren.

Die Geldpolitik wird perspektivisch moderat gelockert und damit Konjunktur und Kapitalmärkte stützen. Die Fiskalpolitik bleibt angesichts struktureller Herausforderungen (wie Klimawandel, Sozialversicherungssysteme, Demografie usw.) global eher expansiv. Allgemein ist ein Trend zu höherer Staatsverschuldung zu beobachten.

Für Europa und insbesondere für Deutschland ist im Jahr 2024 noch ein schwaches Wachstum zu erwarten. Die US-Wirtschaft zeigt sich robuster.

In China begrenzen die zunehmende staatliche Regulierung und die Korrektur im Immobiliensektor das Wachstum.

Aktienmärkte bewegen sich moderat aufwärts mit hohen Schwankungen. Sie profitieren vom globalen Wachstum und vom Umbau der Wirtschaft mit Blick auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Zinsen dürften tendenziell Inflationsraten nur knapp übertreffen. Kaufkrafterhalt der Geldanlagen funktioniert am besten über breit gestreute Wertpapieranlagen, allerdings unter Inkaufnahme von Wertschwankungen.


Negativszenario (Wahrscheinlichkeit: 20 %)

Dramatische Eskalation des Russland-Ukraine-Kriegs oder des militärischen Konflikts im Nahen Osten mit Ausweitung auf weitere Länder. Infrastruktur-Sabotage als Mittel der unkonventionellen Kriegsführung. Anhaltende Ost-West-Konfrontation bzw. die Verschiebung globaler politischer Gewichte zugunsten autoritärer Regime verringert positive Wachstumswirkungen der Globalisierung.

Einführung neuer Handelsbeschränkungen durch USA führt zu einem Handelskrieg mit China, der auch Europa erfasst und das globale Wachstum empfindlich bremst.

Zweitrundeneffekte bei der Inflation setzen Lohn-Preis-Spirale in Gang und führen für lange Zeit zu deutlich höheren Inflationsraten. Notebanken sehen sich dadurch zu einer nochmaligen Straffung der Geldpolitik gezwnungen, die eine massive Rezession auslöst.

Stark gestiegene Staatsverschuldung löst regionale bzw. globale Schuldenkrisen aus mit dem Risiko einer umfassenden Finanzkrise bzw. in Euroland mit einem erneuten Infragestellen der Währungsunion.


Positivszenario (Wahrscheinlichkeit: 10 %)

Inflationsraten gehen innerhalb kürzester Zeit zurück und bleiben dann im Bereich der Notenbankziele. Notenbanken können Zinsen schnell auf neutrale Niveaus zurücknehmen.

Einfrieren der geopolitischen Konflikte führt zu zügiger Beruhigung von Wirtschaft und Finanzmärkten.

Kräftige Gewinnanstiege der Unternehmen lassen Aktienkurse deutlich steigen und wirken als Triebfeder für die Investitionsdynamik.

Disclaimer

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